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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Riccarda, ihre sichere und zuverlässige Adresse auf der Alp Grüm.

39
    Die Nacht auf Freitag war kurz gewesen. Den Vormittag über hing Lothar Melchmer über seinem Schreibtisch und hatte Mühe, nicht über seinen Akten besinnungslos zusammenzubrechen. Da konnte auch die zweite Kanne Kaffee nichts ausrichten – außer Magenschmerzen. Das Einzige, was ihn beschwingte, war – abgesehen von dem Gedanken an das Wochenende, sein Federbett und die Sportschau – der Gang in die Kantine. 11   :   40   Uhr – so früh aß er nie zum Mittag. Heute hatte es etwas mit Überleben zu tun. Aber auch mit unendlichem Schwelgen in Genuss. Denn die Speisekarte kündigte
Bifteki
an, und das war neben Currywurst das Einzige, was Melchmer dort beherzt bestellte. Bei Makrele in Buttersoße, eingelegtem Tofu oder Sprossen mit dreierlei Dressing zog er die mitgebrachten Salamistullen vor.
    Bifteki
war Urlaub. Eine tellergroße, scharf angebratene Fleischboulette, gefüllt mit Frühlingszwiebel, geschmolzenem Hirtenkäse und allerlei anderem Gemüse. Ansonsten war nichts auf dem Teller. Außer dem Kilo Pommes frites.
    Dieses Gericht war deshalb so ausgezeichnet, weil es das einzige war, das Penolope, die Kantinenköchin, aus ihrer Heimat Tripolis mitgebracht hatte. Nicht das Tripolis in Libyen, sondern das auf dem Peloponnes, in Arkadien.
    An zwei der Langtische hatten sich schon uniformierte Kollegen eingefunden. Melchmer nahm seinen gewohnten Einzeltisch, schob das Set mit den Rieselgewürzen und den Fläschchen beiseite, legte sich das Besteck zurück und ging mit der Nase über das Bifteki.
Das ist Arkadien!
    Der Anschnitt war das Entscheidende: Das Hackfleisch war gut durchgegrillt, der Käse zäh, aber nicht flüssig. Eine kleine Peperoni lugte hervor. Ideal   …
    »Lothar!«, donnerte es über seinem Kopf. »Dann kann ich dich ja nich ans Rohr kriegen, wenn du wieder in der Kantine übernachtest!«
    »Der dicke Fipps   … Setz dich, nimm dir ’n Keks.«
    Der schwer adipöse Kollege zwängte sich geräuschvoll an den Tisch. Der Atem lauter als das Stühlerücken. »Lass dich nicht stören, Lothar«, sagte er, hielt ihm aber eine weinrote Umlaufmappe über den Teller.
    »Was soll ich damit?«
    »Ist das nicht das Mädchen, das du suchst?«
    Ein Foto von Lena.
    »Ja. Und?«
    »Das Foto haben die Kollegen aus der Schweiz geschickt. Wie nennst du sie?«
    »Sie nennt sich Lena Jenisch.«
    »Diese Jenisch steht unter dringendem Verdacht. Sie soll heute früh in Zürich einen Arzt getötet haben.«
    »Was wissen die?«
    »Offenbar hat sie sich am Uniklinikum als Krankenschwester ausgegeben. Ist auf einer Röntgenstation oder was in der Art aufgetaucht. Irgendwie gelang es ihr, einen alten Knacker unter den Ärzten zu betäuben. K. o.-Tropfen oder was es da so gibt. Drogen, du kennst ja Zürich.«
    »Nee.«
    »Die und ihre Drogenpolitik.«
    »Und dann?«
    »Dann hat sie ihn wohl in ein Röntgengerät eingespannt und so lange durchleuchtet, bis er in die ewigen Jagdgründe geritten ist. Hier stehen längere Passagen über Kontrastmittel,aber das kapiere ich nicht. So oder so, Lothar, Sportsfreund – sie hat ihn gekillt. Oder gegrillt.« Er freute sich über seinen Zufallswitz. »Sie ist keine vermisste Person mehr. Sie wird europaweit zur Fahndung ausgeschrieben. Wie alt, sagtest du, ist die Mörderin?«
    »Die mutmaßliche, Fipps. Vierzehn.«
    »Eieiei   … Da kommt sie mit dem Jugendstrafrecht davon.«
    Melchmer war hellwach, auch ohne Bifteki. Er schob den Teller beiseite. »Das verstehe ich nicht.«
    »Wer kann schon reingucken in die Gören von heute? Sagtest du nicht, sie ist verwahrlost?«
    »Nicht in dem Sinn. Ihre Mutter ist tot, und ihr Vater kümmert sich wenig. Das meinte ich neulich.«
    »Hm. Den Vater, den solltest du mal ins Visier nehmen! Erfahrungsgemäß wissen die Eltern mehr, als man glaubt.«
    »Heute morgen ist das passiert? Und schon wissen die, wer das Mädchen ist? Ich denke, sie hatte sich als Krankenschwester getarnt? Binnen Stunden ist die Schweizer Kripo in der Lage, uns direkt auf Lena anzusprechen.«
    »Sind also nicht so langsam, wie man denkt, die Herren Kommissäre.«
    »Habe ich das behauptet? Woher haben sie die Spur?«
    Der Untersetzte nahm die Mappe zurück und suchte den Text nach einem Stichwort durch. »Hier! Jan Sikorski! Das ist der Name eines Patienten von Dr.   Carlo Brogli. Der Patient ist ein Junge aus Berlin, und nach dem hat die vermeintliche Krankenschwester die Ärzte gefragt.

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