Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
des Alltags bis hin zu Magazinen und Büchern, die allesamt aus dieser Phase stammten. Diese Seniorengruppe musste ihre eigenen Entscheidungen treffen, sich mehr bewegen, unter anderem weil sie Besorgungen selbst zu erledigen hatte, und durfte von der Vergangenheit nur in der Gegenwartsform sprechen, so als lebte sie noch in den 50er oder 60er Jahren. Nach einer Woche fühlten sich die Senioren jünger, standen aufrechter und zeigten mehr Eigeninitiative als die rundum versorgte Vergleichsgruppe. Die Teilnehmer beider Gruppen waren direkt nach dem Experiment kognitiv leistungsstärker als davor. Das bedeutet, auch der Gruppe, die weiterhin vollständig versorgt wurde, hat der Ortswechsel gutgetan. Das Entscheidende und Spannende an dem Experiment aber war, dass die Senioren der Aktivgruppe länger lebten, wie sich einige Jahre später herausstellte; sie waren außerdem insgesamt gesünder als die Kontrollgruppe und blieben länger mental leistungsfähig!
Antwort eines
80-jährigen Literatur-
preisträgers, was
er denn mit dem Preis-
geld machen wolle:
»Das viele Geld?
Das kommt auf die
Bank. Das ist für mein
Alter.«
Die Menschen, die sich – gesetzt durch die Umweltreize – jünger fühlten, eigenständig und autonom agierten, blieben länger kognitiv leistungsfähig, und zwei Drittel der Teilnehmer konnten sogar ihren IQ -Wert deutlich verbessern. Dies kann man damit erklären, dass der Stirnlappen in dem Moment, in dem die Probanden gezwungen waren, ihr Leben wieder selbst zu organisieren, stärker gefordert war und damit vermehrt aktiviert wurde. Autonomes, selbstbestimmtes Handeln, das einen dazu anhält, achtsam in der Umwelt zu agieren, stimuliert also – ähnlich wie bei intensivem Gehirnjogging – den Stirnlappen. Hinzu kommt: Wer etwas Neues lernen will, braucht Selbstvertrauen. Und genau dies wurde ebenfalls in der Studie gestärkt: zum einen weil die Probanden sich durch Umweltreize geistig und körperlich jünger fühlten, zum anderen weil sie eine Reihe von Erfolgserlebnissen sammeln konnten hinsichtlich ihrer Fähigkeit, den Alltag alleine zu bewältigen (etwas, was ihnen im Altersheim komplett abhandengekommen war). Letzteres zeigt, dass geistige Leistungsfähigkeit auch etwas damit zu tun hat, was wir uns zutrauen. Das heißt im Umkehrschluss: Unsere geistigen Schranken bestimmen mindestens in gleichem Maße, wo die Grenzen unserer Denkens liegen – und dies gilt nicht nur für unsere kognitiven Leistungen: Menschen, die positiv über das Altern denken, leben länger als Menschen, die eine weniger positive Einstellung dazu haben, wie die amerikanische Wissenschaftlerin Becca Levy in einer großen epidemiologischen Studie nachweisen konnte. Der Unterschied macht 7,5 Lebensjahre aus, das ist mehr als der ebenfalls wichtige niedrige Cholesterinspiegel oder ein niedriger Blutdruck (die die Lebenserwartung um jeweils vier Jahre verlängern). Der Effekt ist auch stärker, als nicht zu rauchen oder kein Übergewicht zu haben (damit gewinnt man statistisch ca. drei Lebensjahre). Herausgefunden hat man auch, dass sowohl Männer als auch Frauen, die jüngere Partner heiraten, länger leben, was möglicherweise auf ähnliche Effekte zurückgeht wie die Ergebnisse in der eingangs erwähnte Studie von Ellen Langer. All diese statistischen Besonderheiten sollen hier nicht überbewertet werden, zumal sie in der Interpretation nicht eindeutig sind (wer jüngere Partner heiratet, altert vielleicht auch biologisch anders etc.). Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, inwieweit die eigene Einstellung zum Altern den Alterungsprozess beeinflusst.
Weitere Studien von Becca Levy und Ellen Langer bestätigen dies: So bestimmt die kulturelle Einstellung gegenüber älteren Menschen in erheblichem Maße, wie diese Menschen in Gedächtnistests abschneiden. Wer im Alter geachtet wird, zeigt auch eine stärkere Leistung bei kognitiven Aufgaben und seiner Merkfähigkeit; negative Vorurteile gegenüber Gedächtnisleistungen im Alter führen dagegen zu schlechteren Testergebnissen! Man spricht in diesem Kontext von sogenannten sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen, hat Becca Levy in einem Test »Alter« mit positiven oder mit negativen Worten assoziiert, allerdings so, dass es den Probanden nicht bewusst wurde. Hierbei werden die Worte auf einem Bildschirm so kurz einblendet, dass sie nicht ins Bewusstsein gelangen, vom Gehirn aber verarbeitet werden. Das Ergebnis dieser
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