Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Studien war, dass die kognitiven Leistungen und die Merkfähigkeit besser waren, wenn man Alter unbewusst mit positiven Worten assoziierte; war es mit negativen Worten assoziiert, wurden sie deutlich schlechter. Und das ist schon erstaunlich, denn die Gedächtnisaufgaben und die kognitiven Tests selbst hatten nichts mit dem Alterskontext zu tun. Und doch hat die negative oder positive Assoziation mit dem eigenen Alter dazu geführt, dass die Probanden sich in ihrer Leistungsfähigkeit (!) steigerten oder sogar deutlich abfielen, je nachdem ob ihr Alter mit positiven oder negativen Attributen belegt wurde. Das Gehirn skaliert also seine Leistungsfähigkeit auch danach, was wir von uns erwarten, bzw. danach, was andere von uns erwarten. Die Redewendung »Man ist so alt, wie man sich fühlt« bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.
»Alter ist eine Frage
des Kopfes, nicht der
Geburtsurkunde.«
Martina Navr á tilov á
Schon lange ist bekannt, dass Medikamente eine Placebo-Wirkung haben können, so dass jede neue Wirksubstanz in einer Tablette gegen eine gleich aussehende, aber wirkungslose Tablette getestet wird. Hier gibt es Interaktionen zwischen dem Gehirn und dem Immunsystem, die bisher zwar prinzipiell nachgewiesen, aber im Detail noch schlecht verstanden sind. Diese Interaktion zwischen Gehirn und Immunsystem ist jedoch entscheidend daran beteiligt, dass der Glaube an ein Medikament die Chance erhöht, Krebs oder eine andere Krankheit zu besiegen oder Schmerzen zu lindern. In einer Studie, die Ellen J. Langer in ihrem Buch Die Uhr zurückdrehen? beschreibt, wurde dieses Phänomen nun ins Extreme getrieben: Probanden wurde eine wirkungslose Tablette als Schmerzmittel verkauft. Wie sich zeigte, fiel die Placebo-Wirkung umso geringer aus, je niedriger der Preis für die Tablette war. Und er fiel noch weiter ab, wenn das »Medikament« als Sonderangebot verkauft wurde! Ein weiteres Beispiel sei erwähnt, anhand dessen die Wirkungsmechanismen des Gehirns deutlich werden: Üblicherweise wird die Sehstärke beim Augenarzt auf Augentafeln ausgetestet, auf denen immer zuerst die großen Buchstaben und Zahlen erscheinen, mit jeder Zeile werden sie kleiner. Wie man herausgefunden hat, können wir eine ganze Reihe mehr lesen, wenn die Durchführung des Tests umgekehrt wird und wir – anders, als wir es gewohnt sind – mit den kleinsten Buchstaben anfangen. Auch hier wirkt sich unsere Erwartungshaltung auf die Sehleistung aus bzw. beeinflusst unser Sehvermögen!
Diese und andere Untersuchungen zeigen, auf wie vielfältige Weise Anspruch und Selbstvertrauen das Leistungsvermögen des Gehirns beeinflussen – und wie stark Körper und Gehirn interagieren. Dies wird auch bestätigt durch Umfragen, wie sie Jutta Heckhausen von der University of California in Irvine durchgeführt hat: Ältere Menschen stabilisieren ihr Ichgefühl dann besonders effektiv, wenn sie sich mit anderen alten Menschen vergleichen statt mit jüngeren. »Sie fühlen sich nicht weniger leistungsfähig als Jüngere und glauben, dass sie geringere Probleme mit dem Alleinsein, mit den Finanzen oder der Gesundheit haben als Gleichaltrige«, so die Wissenschaftlerin. Und dieser Umstand hat nicht nur etwas mit Wohlfühlen zu tun, sondern wirkt sich auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns insgesamt aus: Wenn man älteren Menschen noch etwas zutraut und diese mit Selbstbewusstsein eine Aufgabe angehen, sind sie auch beweglicher im Kopf, erinnern besser und reagieren in Situationen potenzieller Überforderung gelassener. Man kann sogar so weit gehen zu fragen, ob nicht ein Teil des Leistungsverlustes im Alter darin begründet liegt, dass es eine gesellschaftlich induzierte selbst erfüllende Prophezeiung ist.
Erstaunlich ist auch eine weitere Erkenntnis, eigentlich eher eine Begleiterscheinung des Trainingsprogramms zur Steigerung der kognitiven Fitness: Führt man älteren Menschen ihre kleinen Erfolgserlebnisse und ihre Leistungsfähigkeit, die sie beim Lösen von kognitiven Aufgaben in kontrollierten Trainingsstudien erzielen, vor Augen, tanken sie Selbstvertrauen und überwinden zum Teil ihre »erlernte kognitive Hilflosigkeit«. Denn, wie oben bereits ausgeführt, auch Selbstvertrauen ist der Schlüssel zum Erfolg. Viele ältere Menschen, die an einem kognitiven Trainingsprogramm teilnehmen, berichten, dass sie nicht nur das Gefühl hatten, ihre intellektuellen Fähigkeiten seien gestiegen, sondern dass sie vor allem gelernt hatten, ihre eigenen
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