Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Fähigkeiten besser einzusetzen! Schon die bloße Tatsache zu lernen, wie man das Ausmaß seiner eigenen Schwächen und Stärken abgrenzen kann, hat nachweisbar einen großen therapeutischen Effekt.
Umgekehrt gilt: Wer aufhört, an sein Gedächtnis zu glauben, macht den ersten Schritt in Richtung des Abgrunds namens Vergessen. Man ist so gut, wie man glaubt, dass man es ist. Das Kompetenzerleben ist von überraschender Wichtigkeit für das Altern: Senioren, die sich auf Tätigkeiten verlassen, bei denen sie sich selbstbestimmt fühlen und wo sie ihr Expertenwissen anwenden können, sind körperlich und geistig fitter als ältere Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl. Dies zeigt zusammen genommen, dass das Empfinden von Zufriedenheit und Könnerschaft mehr zur geistigen Fitness beiträgt, als man bisher angenommen hat.
Im Englischen bezeichnet man das kreative Gegen-den-Strom-Denken als Counterclockwise (Denken gegen den Uhrzeigersinn). Es bedeutet, nicht alles, was man hört, liest und sieht, unkritisch zu akzeptieren, sondern durch eigenes Nachdenken und Nachfragen mit einer eigenen Einschätzung zu versehen oder sich auf kontraintuitive Lösungsansätze einzulassen. All dies stärkt die Leistungsfähigkeit des Gehirns, vor allem den für Alterungsprozesse so anfälligen Stirnlappen. Wer im Kopf lange jung bleiben will, sollte schon früh damit anfangen, gegen den Uhrzeigersinn zu denken und selbst Verantwortung zu übernehmen. Besonders wichtig wird dies aber im Alter, da Zweifel, Hinterfragen und kritisch achtsamer Umgang mit der Welt und seinen Mitmenschen (und sich selbst) eine anspruchsvolle und aktivitätssteigernde Wirkung auf den Stirnlappen haben.
»In gewissem Grad sind wir wirklich das Wesen, das
die anderen in uns hineinsehen, Freunde wie Feinde. Und umgekehrt! Auch wir sind Verfasser des anderen, wir sind
auf eine heimliche und unentrinnbare Weise verantwortlich
für das Gesicht, das sie uns zeigen, verantwortlich nicht
für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage.«
Max Frisch
Selektion, Optimierung, Kompensation
Die fünf bisher vorgestellten Maßnahmen, um den Kopf lange jung zu halten, sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gehirn mit dem Altern Funktionseinbußen in Kauf nehmen muss – und nicht nur das: Dieses Gehirn sitzt in einem Körper, der von der Haut über die Organe bis zu den Knochen hin Abnutzungserscheinungen zeigt. Zum gesunden Altern gehört auch die Einsicht, dass bestimmte Tätigkeiten mit einer anderen Präzision und Geschwindigkeit erfolgen (können), vor allem wenn das 75. Lebensjahr überschritten ist. Neben einer gesunden Ernährung, Bewegung und Gehirnanstrengungen ist es deshalb wichtig, den Stress einzudämmen und die Ziele des Lebens zu justieren. Der Altersforscher Paul Baltes und seine Frau Margret Baltes haben im Zuge des eigenen Alterns vorgeschlagen, dazu folgende drei Strategien einzusetzen: Selektion, Optimierung, Kompensation (abgekürzt SOK ).
Am Beispiel des Pianisten Arthur Rubinstein hat Paul Baltes versucht, sein Konzept zu verdeutlichen: Als 80-Jähriger hatte dieser einmal geschildert, mit welchen Tricks es ihm noch immer gelingen würde, erfolgreich auf der Bühne zu stehen und Konzerte zu geben und altersbedingten Schwächen in seinem Klavierspiel entgegenzuwirken. So hat er zunächst einmal sein Programm reduziert und spielte weniger Stücke. Dies veranschaulicht gut das Prinzip der Selektion. Die ausgewählten Stücke würde er häufiger üben als früher, dies spiegelt die Optimierung wieder. Und drittens spiele er vor schnell zu spielenden Passagen besonders langsam, so dass der Kontrast die folgende schnelle Passage schneller erscheinen lasse. Dies veranschaulicht die Kompensation.
Auf der allgemeinen Ebene bedeutet Selektion die unwillkürlich eintretende oder auch bewusst vorgenommene Verringerung der schieren Zahl von Lebenszielen und -aktivitäten, die mit dem Altern einhergeht. Genau genommen gehört Selektion jedoch zu jeder Entwicklungsstufe des Lebens dazu, denn egal welchen Entwicklungsweg man eingeschlagen hat, es bedeutet, dass man sich gegen andere mögliche Optionen entschieden hat. Wer erfolgreich altern will, der sollte selektieren, welche der bislang wahrgenommenen Tätigkeiten und Aufgaben er fortführen möchte. Genau wie die Körperkräfte nachlassen, je älter man wird, weshalb ein Gärtner im Alter einen immer kleiner werdenden Garten bewirtschaften sollte, so sollte auch die Anzahl der
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