Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
der rechte Scheitellappen geschädigt, kommt es oft vor, dass die Lähmung der betroffenen Gliedmaßen von den Patienten einfach geleugnet wird. Ihnen ist häufig gar nicht bewusst, dass sie – zum Teil sogar schwer – erkrankt sind. Menschen mit einem linkshemisphärischen Schlaganfall dagegen neigen dazu, depressiv zu werden, da sie sich ihrer Erkrankung und der damit einhergehenden Funktionseinbußen bewusst sind.
Nach allem, was wir wissen, werden wir durch unseren Scheitellappen in die Lage versetzt, ein Modell von unserem Körper und unseres extrapersonalen Raums zu konstruieren. Das erklärt z. B., warum eine geübte Stewardess bei der Essensausgabe im Flugzeug trotz engsten Raums selten mit ihren Ellenbogen anstößt. Der Scheitellappen sorgt auch dafür, dass wir, obwohl unsere Augen ständig kleinere und größere Bewegungen ausführen, ein stabiles Bild unserer Umwelt haben. Und er kümmert sich bei der Analyse der visuellen Wahrnehmung vor allem darum, wo etwas ist (während der Schläfenlappen für das »Was«, also die Objekterkennung, zuständig ist). Weiterhin enthält der Scheitellappen das Lesezentrum. Hier fügen wir die Buchstaben zu Wörtern und die Wörter zu Gedanken zusammen. Er vermittelt zwischen optischer und akustischer Sprachinformation und tritt somit dann in Aktion, wenn wir etwas, was wir lesen, zugleich von uns geben.
Der Schläfenlappen (Temporallappen) macht den seitlich und unten gelegenen Teil des Großhirns aus. Er wird – in einem Gebiet von der Größe eines Zwei-Euro-Stückes – aktiv, wenn wir Gesichter erkennen, wobei sich unser rechter Schläfenlappen offenbar besonders für den emotionalen Gehalt des Gesichtsausdruckes interessiert. Die einzelnen Gesichtsmerkmale, etwa die Augenbrauen, werden vor allem entlang der Unterseite des Lappens verarbeitet, während der vordere Teil des Schläfenlappens mit der Speicherung von biographischen Informationen und Eigennamen befasst ist. Ein zwischen diesen beiden Seiten liegendes Gebiet stellt eine Beziehung zwischen den Gesichtsmerkmalen und den biographischen Informationen her. Allerdings arbeitet diese Region nicht immer perfekt, gehört sie doch zu den Arealen des Gehirns, die besonders stark unter Abbauprozessen und neuronalen Untergängen leiden. Zwar erkennt man dann eine Person, kann sich aber nicht mehr an ihren Namen erinnern. Wie man festgestellt hat, beschäftigt sich unsere rechte Hirnhälfte mit diesen Dingen viel mehr als unsere linke, und insbesondere der mit dem Abspeichern neuer Informationen beschäftigte rechte Schläfenlappenteil zeigt Alterserscheinungen.
Im Schläfenlappen befindet sich auch das sensorische Sprachverarbeitungszentrum, das sogenannte Wernicke-Areal. Es verarbeitet die auditorischen Informationen und spielt eine entscheidende Rolle dabei, die Wortbedeutung zu ermitteln. Auch die Funktionsweise des Wernicke-Sprachzentrums hat man aus der Arbeit mit Patienten erschlossen. Patienten, bei denen dieses Zentrum geschädigt war, konnten zwar einen brauchbaren Satzaufbau leisten, aber sie benutzten Wörter, die obwohl sie richtig klangen, keinen Sinn ergaben. Anders als Patienten mit einer Schädigung des Broca’schen Areals waren sie sich dessen aber nicht bewusst.
Auf der Vorderseite des rechten Schläfenlappens werden unsere musikalischen Fähigkeiten geregelt. Wird dieser z. B. bei einer Epilepsieoperation entfernt, sind die musikalischen Fähigkeiten des Patienten insofern reduziert, als ihm das Gedächtnis für Melodien oder Rhythmen fehlt. Bei Berufsmusikern ist die linke Hemisphäre entscheidend; bei ihnen ist die Musik wahrscheinlich wie Sprache organisiert.
Ist unser Schläfenlappen geschädigt, kann es – vor allem zu auditorischen – Halluzinationen kommen. Wir hören dann Stimmen, die es nicht gibt, ähnlich wie bei einer Schädigung des Wernicke-Areals kann es nach einem Schlaganfall zu Wortfindungsstörungen kommen. Die Fähigkeit, die Grundlaute unserer Muttersprache zu bedeutungsvollen Einheiten zusammenzusetzen, ist abhandengekommen; und das, was noch artikuliert werden kann, hört sich eher an wie das Gemurmel, das wir vernehmen, wenn Stimmen aus dem Zimmer nebenan zu uns dringen. Ist der rechte Schläfenlappen durch einen Schlaganfall beschädigt, treten häufig Schwierigkeiten bei räumlichen Koordinationsaufgaben auf. Wie Studien zeigen, kann es außerdem passieren, dass Gegenwart und Erinnerung an ein Ereignis »nebeneinander liegen«. Jedenfalls geben Versuchspersonen,
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