Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
vermindert. Allerdings führt Dauerstress zu einer lang anhaltenden erhöhten Cortisolausschüttung, was mit einer Reihe von negativen Effekten einhergeht: So unterdrückt dauerhaft erhöhtes Cortisol die Aktivität von Immunzellen oder die Verdauungstätigkeit. Zusätzlich führt eine Überschwemmung des Gehirns mit Cortisol und anderen Steroiden (Lipide, zu denen auch das Cholesterin gehört) langfristig zu einer Schädigung von Nervenzellen, vor allem im Hippocampus, der so wichtig für Lern- und Gedächtnisvorgänge ist. Vor allem im Alter ist die Regulation der Cortisolwirkung oft beeinträchtigt, da das Cortisol – anders als in jungen Jahren – nicht mehr seine eigene Abschaltung bewirkt. Diese Selbstregulation kann im Alter durch das Absterben von Nervenzellen mit diesen Cortisol abschaltenden Rezeptoren im Hypothalamus gestört sein.
Es sei aber auch angemerkt, dass sich Cortisol in geringen Mengen (in Verbindung mit anderen Hormonen) positiv auf die Fähigkeit der Neuronen auswirkt, Informationen zu speichern. Adrenalin in richtiger Dosierung erhöht die Durchblutung des Gehirns. Somit kann Cortisol, zusammen mit dem aktivierten Adrenalin, eine leistungssteigernde Wirkung auf das Gehirn haben; Blicke führen zu einer moderaten Erregungserhöhung, die man als leichten Stress bezeichnen könnte. Erst bei höherer Konzentration bewirken Glucocorticoide, dass Nervenzellen ihre Arbeit reduzieren und keine Informationen mehr speichern. Vor allem der Hippocampus kann komplett seine Arbeit einstellen, so dass nichts mehr gespeichert wird und auch das Abrufen von gespeicherten Fakten und Ereignissen unterbunden werden kann. Es kommt zum berühmten »Blackout«, wie man ihn häufig bei älteren Menschen erlebt, die sich selbst unter Druck setzen oder von anderen setzen lassen. Denkblockaden sind also die Folge einer unkontrollierten Stressreaktion des Körpers, bei der, weil das Gehirn mit Stresshormonen überschwemmt wird, der Hippocampus seine Tätigkeit einstellt.
»Nur eines macht
ein Traumziel
unerreichbar: die
Angst vor dem
Versagen.«
Paulo Coelho
Vor allem Fremdes und Unbekanntes verursachen Überforderung – im Alter stärker als in jüngeren Jahren, da die Neugierde auf Neues, im Gehirn unter anderem vermittelt durch den Botenstoff Dopamin, abnimmt. Diese Abwehrreaktion in nicht vertrauten Situationen hat sich im Laufe der Evolution bei vielen Tieren manifestiert. Dabei ist es für den Organismus wichtig, bei der Begegnung mit Fremden in unbekanntem Gelände schnell reagieren zu können – mit Flucht oder Kampf. So können innerhalb der ersten Schrecksekunden, die solche Situationen unweigerlich hervorrufen, zu viele Stresshormone ausgeschüttet werden, was dann zu einer Denkblockade statt zu einer schnellen Reaktion führt. Egal, ob der Schreck durch einen äußeren Reiz oder einen Gedanken ausgelöst wird – der Körper kann nicht zwischen psychologischem Stress und Stress durch eine reale, äußere Gefahr unterscheiden.
Eine Maßnahme, die man ergreifen kann, wenn man merkt, dass ein älterer Menschen Neues als bedrohlich empfindet, ist die, sowohl in der Wahl der Beispiele als auch der Sprache, die so wenig abstrakt wie möglich sein sollte, an das anzuknüpfen, was diese Menschen bereits wissen. Nur so kann man Neugierde wecken. Und Neugierde vertreibt Stress, da es die Dopaminfreisetzung im Gehirn fördert. Das wiederum bewirkt, dass der Körper seine Stressreaktion auf Unbekanntes schnell wieder herunterreguliert. Man könnte auch sagen: Dopamin gewinnt gegen Adrenalin, Neugierde überwindet Angst, und auch wenn dies im Alter schwieriger wird, bestimmt die Einstellung zu Neuem und Unbekanntem (sowie die eigene Einstellung zu einem veränderten Gehirn) eben auch die Einstellung, die wir Stress gegenüber haben. Stress wird immer dann leichter beherrschbar, wenn wir den Eindruck haben, eine Situation kontrollieren, zumindest aber beeinflussen zu können. Und es gilt Stressreaktionen stärkeren Ausmaßes zu meiden, indem man akzeptiert, dass die Sinnessysteme im Alter meist etwas schlechter funktionieren und Multitasking-Tätigkeiten zu vermeiden sind. Richtig ist aber auch: Stress ist nicht gleich Stress, schließlich sind körperliche Stressreaktionen das Normalste der Welt; sie gehören zu unserem Leben dazu, ja sie können sogar anregend sein, und manchmal hilft schon diese Einsicht, um sich von der negativen Kaskade nicht überwältigen zu lassen. Wie Max Frisch einmal gesagt hat: »Die
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