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Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Titel: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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Überlappung es generiert wird, desto robuster und weniger anfällig ist diese Art von Gedächtnis für Auswirkungen von Hirnschäden – im Gegenteil, es bleibt bis in das hohe Alter hinein intakt. So zeigt sich auch, dass abstrakte Repräsentationen bei einem Hirnverfall weniger beeinträchtigt werden als konkrete Repräsentationen. Einen spezifischen Kaffeebecher, den man in seinem Leben schon mal benutzt hat, vergisst man, die Form eines Kaffeebechers dagegen nicht, und genauso verhält es sich auch mit weitaus komplexeren Situationen.
    »Gelassenheitsgebet: Gott
gebe mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern,
die ich ändern kann, und
die Weisheit, das eine vom
anderen zu unterscheiden.«
    Unbekannt,
wird auch Franz von Assisi
zugeschrieben
    Ein typisches Erinnerungsmuster besitzt eine wichtige Eigenschaft: Es enthält zum einen Informationen über die Dinge, mit denen man schon Bekanntschaft gemacht hat, zum anderen Informationen über Dinge, mit denen man in Zukunft in Kontakt kommen kann (alle Tomatensorten, alle politischen Krisen, alle Börsenkräche etc.). Insofern ist das generische Gedächtnis hilfreich, wenn man mit neuen Situationen konfrontiert wird: Da das menschliche Gehirn unglaublich viele Muster abgespeichert hat, wird einiges der neuen Situation mit den bereits vorhandenen Mustern übereinstimmen, so dass wir wesentliche Aspekte ad hoc erkennen können. Das gilt für physikalische Objekte ebenso wie für verbale Äußerungen oder soziale Situationen. Und dies erklärt auch, warum ältere Menschen, trotz der Einschränkungen, die die Gehirnalterung mit sich bringt, in neuen Situationen noch sehr gut Entscheidungen treffen können, denn »neu« ist in den seltensten Fällen in allen Merkmalsaspekten vollständig »neu«, schließlich verblassen generische Erinnerungen nicht. Dazu kommt das Phänomen der Musterexpansion: Wenn man eine Tätigkeit (ob sportlich oder kognitiv) häufig trainiert, vergrößert sich das verarbeitende Gehirnareal – was ebenfalls Schutz vor Verfall bietet. Noch wichtiger aber ist der Umstand, je häufiger wir eine Aufgabe geübt haben, desto weniger Gehirnressourcen benötigen wir, um sie zu bewältigen. Das Gehirn wird quasi effizienter und kann eine solche Aufgabe auch mit geringerer Durchblutung erledigen. Obwohl man also durch Training mehr Gehirnressourcen zur Verfügung haben könnte, benötigt man in der Routine weniger – gerade im alternden Gehirn eine doppelte Absicherung gegen kognitive Verluste. Diese Art der Musterexpansion zeigt, wie »müheloses Expertentum« funktionieren kann.
    Auch im folgenden Beispiel spielt Intuition eine entscheidende Rolle: An der amerikanischen Harvard-Universität hat man vor einigen Jahren untersucht, in welchem Alter Menschen die besten ökonomischen Entscheidungen in komplexen Finanzfragen fällen. Es stellte sich heraus, dass in der Spitzengruppe überproportional viele Menschen jenseits des 50. und 60. Lebensjahres vertreten waren – mit anderen Worten: In diesen beiden Altersdekaden kamen die Probanden besonders schnell zu einer Entscheidung, aber auch die Konsequenzen der finanziellen Entscheidungen wurden besonders gut erkannt. Wie die nachfolgende Analyse ergab, hing dies mit der Lebenserfahrung der älteren Teilnehmer und einer besseren emotionalen Kontrolle zusammen.
    Weiterhin gilt: Je generischer Muster sind, desto redundanter sind ihre neuronalen Repräsentationen und desto widerstandsfähiger sind sie gegenüber Gehirnabbau, sprich Demenz. Das Repertoire von Mustern wächst mit zunehmendem Alter – daher ist Altern logischerweise der Preis, den wir zahlen müssen, um Weisheit zu erhalten, ohne dass sie eine zwingend notwendige Dividende ist. Alle im Laufe des Lebens angesammelten Muster dienen als Mechanismus geistiger Ökonomie. Wer ein Leben lang geistig aktiv war, wird in späteren Jahren mit langsamerem kognitivem Altern belohnt: Bei Menschen mit überdurchschnittlichem Denkvermögen, so hat man in Studien festgestellt, nimmt beides bis zum 80. Lebensjahr sogar zu. Allgemeinwissen und Vokabular bleiben jedoch im Alter konstant oder nehmen ab, wenn das logische Denken bei Menschen unterdurchschnittlich ist.
    »Man braucht zwei
Jahre, um sprechen zu
lernen, und fünfzig,
um schweigen zu
lernen.«
    Ernest Hemingway
    Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass Weisheit vor allem etwas mit dem Treffen guter Entscheidungen in komplexen Situationen zu tun hat.

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