Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Kostenexplosionen im Gesundheitswesen, sondern auch eine immense Last für die pflegenden Angehörigen, insbesondere was deren psychologische Belastung betrifft. Wer hilft eigentlich den pflegenden Angehörigen, mit dem Verlust an Persönlichkeit und Erinnerung zurechtzukommen – bei einer körperlich noch vorhandenen Person, die unausweichlich, manchmal langsam, dann wieder in Schüben, dem totalen geistigen Verfall entgegenlebt? Für die endlose Mühe, Liebe und Anstrengung, die Ehepartner für ihre erkrankten Lebensgefährten, Kinder für ihre Eltern aufbringen, müsste man ihnen eigentlich ein Denkmal setzen.
Stellvertretend für die Gedanken vieler Angehöriger, die einen Alzheimer-Patienten in ihrer Familie haben und diesen selbst pflegen oder sich um seine Belange kümmern, sei hier Arno Geiger zitiert, der in seinem Roman Der König in seinem Exil nicht nur den Verfallsprozess seines demenzkranken Vaters genau protokolliert, sondern auch die angespannte Welt der Angehörigen und ihre Gedankengänge aufgezeichnet hat: »Heute befällt mich ein stiller Zorn über die Vergeudung von Kräften; denn wir schimpften mit der Person und meinten die Krankheit. ›Lass Dich nicht gehen!‹, sagten wir hundertmal, und der Vater nahm es hin, geduldig und nach dem Motto, dass man es am leichtesten hat, wenn man rechtzeitig resigniert. Er wollte dem Vergessen nicht trotzen, verwendete nie auch nur die geringsten Gedächtnisstützen und lief daher auch nicht Gefahr, sich zu beklagen, jemand mache Knoten in seine Taschentücher. Er leistete sich keinen hartnäckigen Stellungskrieg gegen seinen geistigen Verfall, und er suchte nicht ein einziges Mal das Gespräch darüber, obwohl er – aus heutiger Sicht – spätestens Mitte der 90er Jahre um den Ernst der Sache gewusst haben muss. Wenn er zu einem seiner Kinder gesagt hätte, tut mir leid, mein Gehirn lässt mich im Stich, hätten alle besser mit der Situation umgehen können. So jedoch fand ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel statt, mit dem Vater als Maus, mit uns als Mäusen und der Krankheit als Katze.«
Mitgefühl zu bekommen ist das eine. Das andere, wie man sich die Pflege zu Hause erleichtern kann, etwa dadurch, dass die Wohnung so eingerichtet ist, dass ein dementer Patient sich gut darin zurechtfinden kann. Mittlerweile haben alle Krankenkassen Anlaufstellen zum Thema häuslicher Pflege von dementen Patienten eingerichtet, an die man sich als Angehöriger bei Fragen und auf der Suche nach Hilfe wenden kann. Daneben gibt es sehr gute Ratgeberliteratur, aber auch Selbsthilfegruppen, wo man sich mit anderen Angehörigen Demenz-Kranker über gute, anwendbare und erprobte Tipps austauschen kann. Für die Pflegenden gilt, sich klarzumachen, dass jeder Kampf gegen das Vergessen von Anfang an ein verlorener Kampf ist. Betrachtet man die Erkrankung aber nicht von ihrem Ende her, sondern in ihrem Verlauf, besteht durchaus die Chance, über einen streng geregelten Tagesablauf und unterstützt durch Fotoalben und ständige Hinweise darauf, was als Nächstes auf dem Programm steht, dem dementen Patienten noch relativ lange durchs Leben zu helfen.
An dieser Stelle kann kein ausführlicher Ratgeber für Pflegende erstellt werden, aber einige Anregungen möchte ich doch geben; außerdem sei auf die weiterführende Literatur am Ende des Buches verwiesen.
Anregung 1: In der Kommunikation mit Demenz-Kranken kommt es immer wieder zu Irritationen: Man ist versucht, die Welt eines dementen Patienten zu korrigieren, nicht bedenkend, dass seine Wahrnehmung eine ganz andere geworden ist. Einem dementen Menschen, der es nachts klingeln hört und deshalb zur Tür laufen möchte, ist mehr geholfen, wenn man mit ihm ein Gespräch darüber beginnt, wer das so spät noch sein könnte, statt ihm seine Illusionen ausreden zu wollen. Entsprechend lautet der Vorschlag: Bauen Sie nicht ein Lügengebäude auf, sondern versuchen Sie sich in die Wahrnehmungs- und Kommunikationswelt eines dementen Patienten hineinzudenken. Ein anderes Beispiel sind Wortfindungsstörungen. Typisch ist die folgende Situation bei Tisch: »Will ich … Haben.« Wenn zu erahnen ist, was der Kranke gemeint hat, sollten Sie eine klare Frage stellen, die mit einem einfachen »Ja« oder »Nein« beantwortet werden kann, wie: »Möchtest du die Butter haben?« Bedenken Sie außerdem, dass es Demenz-Kranke enorm verwirrt, wenn Worte, Gestik und Mimik nicht stimmig sind, also eine fröhliche Geschichte erzählt wird und der
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