noch mit diesem Freund zusammen?«, murmelte Easy, drehte sich verlegen weg und blickte in seinen kleinen Handspiegel. Er machte ein paar kühne Kohlestriche auf das leere Papier, das vor ihm lag. Es war aufregend, ihm beim Zeichnen zuzusehen.
»Nö«, antwortete Jenny schnell. Sie und Nate waren nur ungefähr drei Wochen zusammen gewesen, bis er sie an Silvester fies abserviert hatte. Er war schon älter und hatte sie wohl nur benutzt, um seiner richtigen Freundin eins auszuwischen.
»Aber du hast ihn anscheinend ziemlich gemocht, wenn du ihn sechsmal gezeichnet hast.«
Jenny versah die Region um die Nase ihres Selbstporträts mit Schattierungen und ließ sich die kleine Lüge noch mal durch den Kopf gehen, ehe sie sie laut aussprach: »Eigentlich mochte er mich mehr als ich ihn.«
»Das glaub ich gern«, sagte Easy leise.
Jenny hielt die Luft an und warf wieder einen verstohlenen Blick auf sein anbetungswürdiges Profil. Als sie einen anderen Kohlestift nahm, bemerkte sie, dass er sie ebenfalls heimlich ansah. Es war zwar nicht wirklich richtig, mit ihm zu flirten, aber sie konnte einfach nicht anders. Außerdem hatte Callie sie schließlich darum gebeten, oder nicht?
»Sag mal, Jenny, kennst du irgendwelche dunklen Geheimnisse?«
Ihr Stift glitt aus und zog eine dicke schwarze wackelige Linie über die Wange ihres Porträts. Ja, zum Beispiel, dass Brett erst um drei Uhr morgens nach Hause gekommen war, nachdem sie am frühen Abend den Campus mit Mr Dalton verlassen hatte. Das war ein ziemlich dunkles Geheimnis. Außerdem gab’s da noch die Tatsache, dass Jenny wahnsinnig in Easy verliebt war – auch ein rabenschwarzes Geheimnis. »Ähm, nee, eigentlich nicht.«
»Ich schon«, sagte Easy.
Jenny spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. »Was denn?«
Er senkte den Blick, dann sah er sie wieder an. »Ich schreib’s auf, aber du darfst es erst später lesen.«
»Warum kannst du es nicht einfach sagen?«
»Weil es ein Geheimnis ist.« Er kritzelte mit dem Kohlestift etwas auf ein Stück Schmierpapier, faltete es dreimal und gab es ihr.
Jenny nahm das Briefchen und steckte es in ihre Tasche. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Callie hatte sie instruiert, mit Easy zu flirten, aber vielleicht hatte Callie genau das Gleiche auch zu Easy gesagt. Sei einfach nett zu Jenny. Lass dich ab und zu mit ihr sehen und tu so, als ob ihr zwei euch mögen würdet . Jenny konnte sich das nur allzu gut vorstellen.
Sie wurde nachdenklich. War es das und sonst nichts?
Sobald es klingelte, rannte sie in die erstbeste Kabine der Mädchenklos und faltete das Briefchen auseinander. In krakeliger, verschmierter Kohlestiftschrift stand da:
Die Eulen von Waverly können sprechen. Vielleicht sprechen sie ja mal mit uns beiden gleichzeitig.
Jenny faltete den Zettel zu immer kleineren Rechtecken und steckte ihn in ihre Schultasche. Es war nicht zu leugnen – sie hatte sich rettungslos in Easy Walsh verliebt. In alles an ihm, von seinen dunklen verwuschelten Haaren über seinen sinnlichen, asymmetrischen Mund bis hin zu seiner Liebe zu Chagall und seinen Händen, die von dunkelblauer Tinte verfärbt waren.
Schließlich verließ sie die Kabine und starrte in den verschmierten Spiegel über dem Waschbecken. Sie wusste nicht, wonach sie in ihrem Gesicht suchte – vielleicht nach einem Beweis, einer Art äußerlichem Zeichen, dass etwas Ungeheuerliches passiert war.
Denn sie war ziemlich sicher, dass Easy tatsächlich mit ihr flirtete. Nicht weil Callie ihn darum gebeten hatte, sondern weil er es wollte. Sie hatte keine Ahnung, woher sie es wusste. Sie wusste es einfach.
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WG: Bevorstehende Anhörung vor Disziplinarausschuss
Hallo Brett, ich leite Ihnen hier eine E-Mail von Dekan Marymount weiter, die die bevorstehende Anhörung vor dem DA betrifft. Ich bin der Ansicht, Sie sollten darüber Bescheid wissen. Vielen Dank, dass Sie mir gestern beim Abendessen Gesellschaft geleistet haben. Ich fand es sehr... erquickend. Bis bald EFD
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Lieber Eric, Lieber Eric, wie Sie wissen, wird der erste