Jung, sexy und beliebt
knuffig, hatte weiße, dicke Arme und graues Haar, das zu einem unordentlichen Knoten aufgetürmt war. Am linken Handgelenk klirrten dutzende von Armreifen und unter ihrem gelb gestreiften Overall trug sie ein übergroßes regenbogenfarbenes T-Shirt, das sie eindeutig selbst gebatikt hatte.
Der Raum hatte schräge Decken, geneigte Arbeitsflächen und an der einen Wand riesige Fenster, durch die das Licht strömte. Mrs Silvers Arbeitstisch war übersät mit Pinseln, alten Bleikristallflaschen, kleinen Phiolen mit Aromaölen, dazwischen lagen Hochglanz-Kunstbücher, ein Yoga-Handbuch und eine Zwei-Liter-Flasche Mountain Dew. Mrs Silver war unordentlicher als Jennys Vater. Jenny hätte wetten können, dass die beiden gut miteinander auskommen würden.
»Hallo, Easy!«, rief Mrs Silver. »Ich freue mich ja so, dich zu sehen! Hattest du einen schönen Sommer?«
Jenny drehte sich um. Easy Walsh kam mit großen Schritten auf Mrs Silver zu und küsste sie liebevoll auf die Wange. Heute hatte er den Waverly-Blazer nur über dem Arm und trug ein senfgelbes T-Shirt mit zipfeligem Saum und graue Levi’s, die perfekt über seinem knackigen Hintern saßen. Seine welligen Haare waren wild zerzaust, und Jenny bemerkte, dass hinter seinem rechten Ohr ein gelbes Ahornblatt steckte.
Easy ließ den Blick durch den Unterrichtsraum gleiten. Seine blauen Augen blieben kurz an ihr hängen. Jenny sah, dass der einzige leere Arbeitstisch direkt neben ihrem war.
»So, meine Lieben«, verkündete Mrs Silver. »Wir wollen gleich mal anfangen, ich weiß ja, dass ihr es kaum erwarten könnt. Ich verteile jetzt Zeichenpapier und Spiegel. Wir machen Selbstporträts und fangen an mit Rohskizzen.«
Ein allgemeines Stöhnen brandete auf. Selbstporträts waren das Schlimmste.
Easy kam langsam auf den Arbeitstisch neben Jenny zu, wobei er sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Er warf seinen braunen rissigen Lederrucksack unter den Tisch und setzte sich auf den niedrigen Metallhocker. Dann nahm er gemächlich seine Bose-Kopfhörer ab und wickelte das Kabel um seinen flachen iPod. Er beugte sich rüber und schrieb mit einem stummeligen Kohlestift Hey auf Jennys Tisch. Seine Schrift war jungenhaft und steil.
Hallo schrieb Jenny in gekonnter Schönschrift darunter.
Mrs Silver verteilte an jeden Kohlestifte, Prismacolor-Faserstifte, Spiegel und rollenweise einfaches weißes Papier. Jenny starrte ihr Spiegelbild an. Ihre Augen verrieten nicht, was für ein Tumult in ihrem Inneren tobte. Es ist in Ordnung , sagte sie zu sich. Callie hat gesagt, dass du mit ihm flirten sollst. Aber hatte Callie auch gesagt, dass sie Herzflattern bekommen sollte?
»Und, hat dir Dalton sehr zugesetzt?«, flüsterte Easy.
»Nein, eigentlich nicht«, flüsterte Jenny zurück. Ob er wohl von Callie wusste, dass sie sich noch nicht entschieden hatte, was sie sagen sollte?
»Und Callie, macht sie dich fertig?«
»Callie? Äh, nein …« Jenny steckte das stumpfe Ende ihres Markers in den Mund. »Sie war wie immer.«
»Na, ich hoffe nur, dass sie dich nicht zu sehr in die Scheiße reitet. Das macht sie nämlich manchmal.«
Was meinte er wohl? Jenny wandte sich wieder ihrem leeren Blatt zu. Sie merkte genau, dass Easy sie aus den Augenwinkeln beobachtete. Ehe die Alte Jenny ihr sagen konnte, dass sie lieber nicht mit Easy flirten sollte, auch wenn Callie es erlaubt hatte, fing die Neue Jenny zu kichern an und stupste Easy mit ihrem roten Prismacolor-Stift, sodass ein großer Fleck auf seinem Arm entstand.
»Was soll denn das werden?«, flüsterte er und betrachtete den roten Fleck.
»Ich wollte dich tätowieren.« Sie fand, dass der Fleck wie eine Nase aussah, und malte noch zwei winzige Augen und einen Mund dazu.
»Sieht cool aus«, befand er. Dann nahm er seinen blauen Stift und schrieb HI JENNY auf ihren Arm. Dazu malte er eine grimassierende Comicfigur mit Zahnlücken, der er noch eine kesse Haarsträhne auf den Kopf setzte.
»Soll ich das sein?«, fragte Jenny lachend.
»Nein … soll das von dir denn ich sein?«
»Neeee! Aber ich hab meinen Freund mal in sechs verschiedenen Stilarten gemalt, von Pollock bis Chagall.«
»Mein Vater hat einen Chagall in seinem Arbeitszimmer«, erzählte Easy. »Er sieht ein bisschen aus wie ›Ich und das Dorf‹. Als ich klein war, hab ich das Bild stundenlang angestarrt.«
Jenny blinzelte verwirrt, »Ich und das Dorf« war ihr Lieblingsbild. »Du... für ein Kind hast du einen guten Geschmack gehabt.«
»Und, bist du immer
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