Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
Sektenangehörige, nur Oma war so freundlich, sie hereinzubitten. War ja klar. Beide Männer sind sehr groß gewachsen und dem ermordeten Präsidenten John F. Kennedy wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie haben dieses typisch amerikanische kantig-doofe Nussknackergesicht. Ansonsten sind sie nett und erleichtert darüber, einmal nicht auf Ablehnung zu stoßen. Da Oma es mit der Nächstenliebe sehr ernst nimmt, sitzen Mr. Gordon und Mr. Meyer nun jeden Sonntag Punkt eins ausgehungert an unserer Mittagstafel und freuen sich auf das Essen, das Oma ihnen serviert. Insgeheim ist Oma froh, dass jemand ihre Kochkünste zu würdigen weiß, wir Familienmitglieder schlingen unsere Mahlzeiten nämlich meist achtlos herunter, ich finde höchstens mal bei Sauerbraten ein paar lobende Worte. Die Mormonen bringen ihrer betagten Gastgeberin immer ein Sträußchen mit, allerdings nur aus Blumen, die sie am Wegesrand gepflückt haben. Das geht nun schon seit zwei Monaten, und langsam werde ich sauer, weil sie die Gutmütigkeit meiner Oma ausnutzen, ohne auf die Idee zu kommen, mal eine Gegenleistung zu erbringen. Wenn’s nach ihnen ginge, würden sie sich wahrscheinlich noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag beköstigen lassen. Spachtel. Opa weiß wahrscheinlich gar nicht, wer da jeden Sonntag zum Essen anrückt, und Oma hat von ihren Besuchern auch recht wenig, da sie ja praktisch kein Wort Englisch spricht. Den Übersetzer markieren mach ich schon aus Prinzip nicht, außerdem will ich in Ruhe essen. Die Mormonen grinsen wie die Honigkuchenpferde und radebrechen nur am Anfang ein paar Brocken Deutsch. Ganz schön frech, sich bei uns so einzunisten, stumm wie die Fische Rouladen oder Schmorbraten zu vertilgen und nach einer Stunde zu verschwinden, wie sie gekommen sind. Sie stammen aus dem US-Bundesstaat Wyoming, wo auch «Die Leute von der Shiloh Ranch» gedreht werden.
Von einem Tag auf den anderen war der Spuk allerdings vorbei: Mormonen sind nämlich strikte Antialkoholiker, ihr Glauben verbietet es ihnen, auch nur einen Tropfen anzurühren. An dem besagten Sonntag gab es Putengeschnetzeltes mit gedünstetem Obst und Reis und einer Zwiebelsoße, die Oma immer mit einem Schuss Weißwein veredelt. Als die Mormonen mit ihrem Riesenappetit schon fast den ganzen Teller leergeputzt hatten, rückte Oma mit der Sprache raus und erklärte mit Händen und Füßen, dass sie gerade Alkohol zu sich nehmen. Die Männer erstarrten und schoben die Teller von sich. Aus Höflichkeit sind sie noch ein paar Minuten geblieben und haben sich dann verpieselt. Auf Nimmerwiedersehen, wie sich herausstellen sollte. Hatten wohl Angst, von meiner Oma vergiftet zu werden! Kanns’ mal sehen, obwohl sie so brav und harmlos tun mit ihren Betonhaarschnitten und Anzügen, sind sie doch durch und durch fanatisch. Vielleicht glauben sie, dass sie jetzt nicht mehr ins Paradies kommen oder so was, die armen Irren.
Wir sind in unserer Klasse zweiundzwanzig Mädchen bei nur sechs Jungen. Unser Klassenlehrer Herr Klöppel trägt die Haare halblang und hat einen Spitzbart, einen typischen Lehrerbart, wie Mutter sagt. Er unterrichtet uns in Mathe und Chemie. Oft ist es ziemlich laut während des Unterrichts. Herr Klöppel schaut sich das immer eine Weile an, bevor er dann ausrastet. Er bekommt einen hochroten Kopf und brüllt, unser Betragen sei eine «Unverfrorenheit». Er ist der einzige mir bekannte Mensch, der diese Vokabel benutzt. In Mathe bin ich zwar immer noch schlecht, aber es ist nicht mehr eine solche Katastrophe wie auf dem Gymnasium. Eigentlich liegt es an mir, ob ich mitkomme oder nicht. Wenn ich mich richtig auf den Hosenboden setze, komme ich aus eigener Kraft ungefähr auf eine Vier oder Vier minus, das reicht ja.
In der großen Pause gehen wir entweder in die Pausenhalle oder ins EKZ, beim Bäcker Negerkussbrötchen besorgen. Und natürlich rauchen alle wie die Schlote. Ich bin jetzt schon so weit, dass ich in jeder kleinen Pause eine barzen geh. Ich dreh nach wie vor selber, während Heiko Voss eine Drehmaschine benutzt, aber mit der Maschine werden die Kippen viel zu fest und sind dann nicht stark genug. Mit Martin, der wie ich nach der Beobachtungsstufe auf die Realschule gekommen ist, treffe ich mich eigentlich nur während der Schulzeit. Seine Eltern haben ihm die wüstesten Strafen angedroht, falls er sich über ihr Verbot, mich zu sehen, hinwegsetzen sollte.
Zur Konfirmation habe ich endlich einen Fernseher geschenkt bekommen, da kann ich
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