Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
stirbt, sind wir schuld.»
«Meinst du?»
«Los jetzt, wir bringen ihn weg. Die Sachen holen wir morgen nach.»
Halb kann Maik gehen, halb ziehen wir ihn hinter uns her. Sein Atem geht hastig und stoßweise, zwischendurch sackt er zusammen, und es dauert immer ewig, bis wir ihn wieder auf die Beine gestellt haben. Vielleicht macht er sich auch nur schwer, weil er mit dem Leben abgeschlossen hat. Total zerschunden und zerschreddert.
«Lasst mich einfach liegen.»
Heul doch. Endlich kann ich meinen Frust ablassen.
«Ja, komm, lass liegen, tritt sich fest. Das gibt ’nen schönen Fettfleck.»
Jetzt hat Manfred auf einmal keinen Humor mehr.
«Sag mal, bist du nicht ganz dicht?»
«Stimmt, geht nicht. Das ist nämlich Umweltverschmutzung, wenn der Fettkloß ausläuft und die giftige Schmiere dann im Erdboden versickert. Also lass weiter.»
Was soll Manfred schon machen? Mich zusammenschlagen? Eben. Morgen bin ich weg, und zwar auf Nimmerwiedersehen. Dann können die sich von mir aus gegenseitig versklaven oder sonst wen. Endlich erreichen wir den Holzapfelhof. Manfred klingelt Sturm. Herr Holzapfel ruft sofort den Notarzt. Zeit, mich vom Acker zu machen.
«Ich geh dann mal.»
Keine Reaktion.
«Ich muss los.»
Nichts.
«Also dann.»
Wieder nichts.
«Ich geh zu Oma Emmi rüber.»
Ich hab mal gehört, dass man dreimal was sagen muss, und wenn dann noch keine Reaktion kommt, kann man gehen, zum Beispiel im Restaurant, ohne zu zahlen.
Einen Schlüssel hab ich nicht dabei, und ich muss die arme Oma Emmi wach klingeln. Dachsi benimmt sich, als wäre ich der Leibhaftige. Ich rieche derart nach Kotze, dass Emmi von meiner Fahne nichts mitbekommt, schätze ich. Sie meckert auch nicht großartig, es ist, als hätte sie mit so was gerechnet.
Sonntag verschanze ich mich bis zum Nachmittag im Haus und gehe wie geplant über den Ortskern zum Bahnhof. Die ganze Zeit habe ich Angst, dass mir Manfred und der Einäugige auflauern, aber ich begegne auf dem lieben langen Weg keiner Menschenseele. Wo sind die bloß immer alle? Ein erbärmlicher Abschied ist das, ohne «Die Leute von der Shiloh Ranch». Ich beschließe, nie wieder nach Todtglüsingen zurückzukehren.
Zwölfter Stock
Nun wohnen wir also im Hochhaus, in einer Zweizimmerwohnung für 342 Mark Monatsmiete. Küche und Bad sind frisch renoviert, und mein Zimmer ist fast doppelt so groß wie das im Reihenhaus. Nur auf den Balkon traue ich mich nicht, allein schon, wenn ich in seine Nähe komme, ziehen meine Beine bis in die Magengrube, am liebsten würde ich aufs Geländer steigen und runterspringen, damit es endlich vorbei ist. Ich glaube zwar nicht, dass ich es wirklich täte, aber man weiß ja nie, deshalb bleibe ich sicherheitshalber drinnen. Nach einer Woche sind wir immer noch damit beschäftigt, die Wohnung einzurichten, das heißt, Mutter verrückt noch dauernd Möbel, obwohl die meiner Meinung nach alle schon am ersten Tag optimal standen. Das nervt, aber wenn ich was sage, gibt’s doch nur wieder Ärger. Es ist praktisch unmöglich, ihr aus dem Weg zu gehen.
Noch drei Tage bis zum Schulbeginn, ein Glück, dann hält hoffentlich der Alltag Einzug. Am Wochenende fährt Mutter ihre Freundin Tante Maria in Reinbek besuchen, das ist eine halbe Weltreise, wie sie immer sagt. Aber statt alleine in der Wohnung bleiben zu dürfen, muss ich zu den Großeltern, wie ein Kleinkind.
Obwohl Opa immer mehr abbaut, schlüpft er jeden Morgen in seinen Anzug, und der sitzt so tadellos wie früher, ohne dass Oma ihm dabei zur Hand gehen müsste. Die arme Oma, jetzt ist sie den ganzen Tag mit ihm alleine. Bald feiern sie diamantene Hochzeit, muss man sich mal vorstellen. Sonst hat Oma niemanden mehr, mit dem sie sprechen könnte, selbst Frau Klippstein nicht, die hat irgendwann auch nicht mehr angerufen. Wahrscheinlich musste sie ins Altersheim, oder sie ist gestorben. Und jetzt würde sich Oma wohl selbst über Telefonate mit Frau Klippstein freuen. Was für eine Schnapsidee von Mutter, auszuziehen und sie im Stich zu lassen. Ganz schön egoistisch. Opa ist jetzt 91, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er 100 wird.
Seit neuestem kommen sonntags zum Mittagessen immer zwei Mormonen. Die sind von ihrer Glaubensgemeinschaft für ein Jahr nach Deutschland versetzt worden, um für ihre Überzeugungen zu werben, und waren eines schönen Tages auch in unserer Siedlung Klinken putzen. Sie sind fast überall abgewiesen worden, schließlich gelten Mormonen als
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