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Junimond (German Edition)

Junimond (German Edition)

Titel: Junimond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Bongard
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schrecklich, sondern wow – toll!« Olivia deutete auf die vergilbten Tapeten im Treppenhaus. »Das sind ja noch die Originaltapeten! Das sieht aus, wie ... ein historisches Filmset.«
    Sie folgte Stella begeistert die Treppe herauf, blieb stehen und untersuchte die Lampen an der Wand und dann eine alte Kommode, die Stella im Flur gefunden hatte.
    »Willst du mir helfen, sie in mein Zimmer zu tragen?«, fragte Stella.
    Olivia zögerte. »Okay, aber lass uns erst die Schubladen herausnehmen, dann ist es leichter.«
    Zu zweit trugen sie erst die Schubladen und dann die Kommode in Stellas Raum. Sie stellten alles ab, schoben die Schubladen wieder zurück und blieben dann für einen Moment reglos im Raum stehen. Das Licht fiel weich durch die dreckigen Fenster, Staub tanzte im Licht. Stella kniff die Augen leicht zusammen und sah für einen Moment Menschen durch den Raum gehen, jemanden hier leben. Als ob der leere Raum, das ganze Haus nur darauf wartete, seine Geschichte zu erzählen.
    »Wow!«, sagte Olivia, aber diesmal ganz leise.
    Ihr Rock war nicht mehr weiß, sondern hatte nun einen staubigen Querbalken, ihre Hände waren schwarz.
    »Sorry!«, sagte Stella, »wir haben noch nicht mal richtig Wasser, damit du dich sauber machen kannst.«
    »Macht nichts.« Olivia wischte ihre Hände gnadenlos am Rock ab und grinste unternehmungslustig. »Ist das nicht großartig? Ich finde, wir sollten hier unseren Film drehen.«
    Stella fand sie immer erstaunlicher.
    » Was denn für einen Film?«
    »Irgendwas Historisches. Oder wir machen einen Film über dieses Haus. Das wolltest du doch auch. Ich meine, was Dokumentarisches.«
    »Ich weiß nicht ... Ich meinte nicht so dokumentarisch.«
    »Wie denn?«
    »Eher politisch.«
    Olivia federte zu ihr herum, stemmte dann beide Hände in ihre Seiten, wodurch sie auch ihr zartblaues Poloshirt ruinierte und sah Stella kritisch an.
    »Das hier ist politisch! Wer hat denn hier vorher gewohnt? Oder besser, warum hat hier vorher niemand gewohnt? Warum sind denn die Leute hier ausgezogen?«
    Stella nickte. Natürlich, sie gab es ungern zu, aber Olivia hatte Recht.
    »Na ja, die Schwiegermutter meiner Oma, der das Haus gehörte ...«
    »... war wahrscheinlich Jüdin! Oder?«, vollendete Olivia den Satz.
    »Nein, eigentlich nicht«, sagte Stella nüchtern. »So, wie es mir meine Mutter erzählt hat, war meine Oma Jüdin, aber sie hat hier nie gewohnt.«
    »Aha. Aber ich war auf der richtigen Spur«, sagte Olivia. »Und du heißt Levy. Ist doch ein jüdischer Name, oder?«
    Stella nickte. Die Informationen waren über die Jahre stückweise zu ihr gekommen. Eine Kinderversion hatte die nächste abgelöst, ohne dass sie jetzt ganz sicher war, was stimmte und was nicht. »Die Eltern meiner Mutter hießen eigentlich Schmidt, aber als sie das Namensrecht geändert haben, hat meine Mutter wieder den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen, also Levy. Den fand sie schöner und hat ihn dann mir gegeben.«
    »Und dein Vater?«
    »Was meinst du?«
    »Na ja, gewöhnlich haben Menschen zwei Elternteile.«
    »Stimmt, aber sie haben sich gleich nach meiner Geburt getrennt.«
    »Ich dachte, er wäre Dokumentarfilmer. Müller-Stein hat ...«
    »Ja, ja«, sagte Stella schnell und sah Olivia nicht an. »Ich meine, er ist nicht vollkommen verschwunden oder tot oder so.«
    Olivia fuhr sich mit einer nachlässigen Geste durchs Haar und hatte jetzt auch Dreck an der Stirn.
    »Okay, verstehe. Aber wäre dann ein Dokumentarfilm über dieses Haus nicht ne tolle Sache? Ich meine, so eine Art Dokumentation.«
    Sie sah sich um. »Wieso hat das Haus eigentlich so lange leer gestanden?«
    »Ich weiß nur, was meine Mutter erzählt hat.«
    »Und das wäre?«
    »Es lag während der DDR-Zeit so nah an der Westgrenze, dass es nicht bewohnt sein durfte.«
    »Verstehe.«
    Olivia ließ sich ungefragt rücklings auf Stellas Matratze fallen, stützte ihre Ellbogen auf und legte ihre schönen, schlanken Beine übereinander. Sie hatte Stil, selbst halbverdreckt in dieser Ruine, umgab sie Glamour.
    »Okay. Und warum hat das Haus danach leer gestanden, Watson?«
    »Watson?«
    »Na ja, Watson ist für die Fakts verantwortlich, ich kombiniere nur.«
    »Nett ausgedrückt.«
    Stella setzte sich neben Olivia auf die Matratze und versuchte sich an die chaotischen Details ihrer Familiengeschichte zu erinnern.
    »Du meinst, nach der Wende?«
    »Ja, wir nennen es Wende, aber man könnte es auch Absorption der Deutschen Demokratischen Republik

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