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Junimond (German Edition)

Junimond (German Edition)

Titel: Junimond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Bongard
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Klarheit in den Stoff und die Ideen? Die Gegner einer dramaturgischen Gliederung behaupteten, dass das Leben eben nicht so wäre, keine besonderen Höhe- und Tiefpunkte besäße, jedenfalls nicht dort, wo die Dramaturgen sie gerne hinsetzten. Aber Nick hatte immer auf der anderen Seite gestanden. Er mochte die klassische Dreiaktform des Drehbuches. Und wenn das Leben seine Struktur verlor, fühlte Nick sich orientierungslos. Er wollte wissen, wo es lang ging. Vielleicht war der Besuch von Stellas Freunden eine Bereicherung und ein Glücksfall. Hoffentlich. Tim war ein interessanter Typ, er hatte die Schule beendet und versuchte als Profi-Skater zu leben. Er machte auch Musik und vielleicht war er ihr neuer Keyboarder. Allerdings mochte ihn Ares nicht besonders. Wenn es wirklich DER Freund von Stella war, dann war sein Auftauchen natürlich nicht gut für Ares.

    Nick stand endgültig auf, schälte sich aus dem Schlafsack und klemmte sich die frische Sachen unter den Arm, die er sich am Vortag zuhause eingepackt hatte. Er ging leise über den Flur und horchte an Ares Tür. Da er nichts hörte, öffnete er die Tür vorsichtig und sah seinen Freund schlafend, quer über die Matratze ausgestreckt liegen, das verletzte Bein leicht angewinkelt. Er wollte ihn nicht wecken und beschloss erst einmal zu duschen.
    Das Wasser war nicht so kalt, wie er erwartet hatte, offenbar hatte es sich in den Leitungen erwärmt und Nick genoss das fließende Wasser.
    Er stellte die Dusche ab, zog sich an und überprüfte sein Gesicht in dem fleckigen Spiegel über dem alten Waschbecken. Eigentlich musste er sich noch nicht rasieren, aber er mochte den Rasierschaum im Gesicht und das erwachsene Gefühl, sich um seinen Bartwuchs zu kümmern. Und dann hörte er sie. Stimmen, draußen auf der Terrasse. Die Mädchen. Also waren sie schon wach und frühstückten. Er öffnete das Fenster, lehnte sich weit heraus und sah Olivia und Dana auf der Terrasse gleich unter ihm miteinander reden. Er verstand jedes Wort, aber worum ging es eigentlich? Er spürte das leichte Kribbeln in seinem Magen als er hörte, wie Olivia seinen Namen aussprach. Ginge es etwa um ihn?

59
    »Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo.«
    (Gilmore Girls)
    Eine Stunde später
    Stella und Dana nannten es das Scheinriesen-Syndrom. Bestimmte Menschen, die man nicht kannte und von Ferne anhimmelte, waren größer und großartiger als in Wirklichkeit. Wenn sie dann näher kamen und man sie kennen lernte, dann schrumpften sie und aus Riesen wurden Zwerge. Natürlich konnte man ihnen keinen Vorwurf machen, es lag ja nicht an ihnen, dass man sie idealisiert und heroisiert hatte. Nein, Tim konnte man keinen Vorwurf machen , dachte Stella. Er war ein erstklassiger Scheinriese gewesen, ein Profi-Skater, der gut aussah und Werbung für Turnschuhe machte. Das war ja das Tückische am Scheinriesen-Syndrom, dass man nie sagen konnte auf wen es zutraf. Und gab es überhaupt einen Begriff für das Gegenteil? Andere Menschen wurden größer, wenn man sich ihnen näherte. Wuchsen, je länger man sie kannte und obwohl man sie erst für langweilig oder uninteressant gehalten hatte, bewiesen sie einem mit der Zeit das Gegenteil. Ares war so jemand. Natürlich sah Ares gut aus und war witzig, aber was ihn wirklich ausmachte, sah man erst mit der Zeit. Vielleicht die Art, wie er sich am Abend zurückgezogen hatte. Verletzt und trotzdem stolz. Stella wäre ihm am liebsten hinterher gerannt. Oder die Art, wie er ganz vorsichtig versucht hatte, seinen Arm um sie zu legen. Er war ein Draufgänger, aber nicht was Mädchen anging. Da war er vorsichtig und schüchtern. Stella seufzte. Und jetzt war alles falsch.
    Sicher, Dana hatte ihr mit dem Überraschungsbesuch eine Freude machen wollen. Stella hatte monatelang für den Skater-Boy geschwärmt, in der Skatehalle rumgehangen und ihn beobachtet und als er sie als Freundin bei Facebook geaddet hatte, hatte sie einen Freudentanz durch ihr Zimmer aufgeführt. Sein Profil war aber auch so cool. Wer konnte ahnen, dass er so ein Langweiler war, der nur vom Skaten redete und seinen Tattoos und Sponsoren?
    Stella sah zu der Matratze neben ihr, dem leeren Schlafsack.
    Dana hatte bei ihr im Zimmer übernachtet, sie gerettet, als der Froschkönig angeklopft hatte und seinen Lohn dafür einfordern wollte, dass er für sie bis zum Arsch der Welt gefahren war. Jetzt lag Tim unten im Wohnzimmer und Stella fühlte sich schuldig. Nicht dafür, das sie nicht mit ihm geschlafen

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