Jura für Kids - eine etwas andere Einführung in das Recht
Ihr seht euch fragend an: «Wieso dürfen Ben und Melissa nicht mitwählen?» Euer Lehrer sagt: «Die beiden sind noch nicht einmal zwei Monate in unserer Klasse. Ben ist aus München hergezogen und kennt noch nicht alle Namen der Kinder in der Klasse, und Melissa ist sitzengeblieben. Auch sie kennt sich bei uns noch nicht so gut aus.» Ihr protestiert: «Das ist doch kein Grund! Ben und Melissa gehören in unsere Klasse und dürfen ihren Vertreter, den Klassensprecher, genauso wählen, wie wir.» «Also gut», sagt euer Lehrer, «wenn ihr unbedingt meint.»
Du durftest bei Bundestagswahlen noch nie mitwählen. Das hat seinen guten Grund. Du interessierst dich zwar für Recht und Politik, sonst würdest du dieses Buch nicht lesen. Das Grundgesetz geht aber davon aus, dass sich Kinder noch kein genaues Bild von der Politik machen können und noch nicht vernünftig entscheiden können, wen sie wählen sollen. Auch wenn jeder Bürger nur eine Stimme hat, muss er sich gut überlegen, wem er diese Stimme gibt. Es gibt ja viele verschiedene Parteien. In einer Partei tun sich Menschen zusammen, die das gleiche Ziel verfolgen. Die eine Partei setzt sich vor allem für den Umweltschutz ein, die andere mehr für Arbeitsplätze und die dritte dafür, dass es den armen Menschen besser geht. Die falsche Wahl kann, wenn sie von vielen getroffen wird, weitreichende, manchmal verhängnisvolle Folgen haben. Eben haben wir gesehen, dass die Menschen im Jahr 1933 sich für eine Partei entschieden haben, die Adolf Hitler zu ihrem «Führer» gewählt hat. Adolf Hitler hat 1939 den Zweiten Weltkrieg begonnen und in den folgenden Jahren über 6 Millionen Juden töten lassen. Auch wenn es heute diese oder eine vergleichbare Partei nicht mehr gibt, ist die Wahlentscheidung mit einer großen Verantwortung verbunden. Daher sollte sie von jemandem getroffen werden, dem diese Verantwortung bewusst ist und der sich Gedanken darüber macht, wem erseine Stimme gibt. Man traut dies Erwachsenen eher zu als Kindern. Viele Kinder würden einfach das wählen, was ihre Eltern wählen oder – noch schlimmer – was ihre Eltern ihnen vorsagen.
Auch Ausländer, die in Deutschland leben, dürfen bei den Bundestagswahlen nicht mitwählen. Sie könnten ja einfach in ihr Heimatland zurückgehen, wenn die Abgeordneten des Bundestages schlechte Gesetze erlassen. Die Ausländer müssten dann die Folgen ihrer Wahlentscheidung nicht tragen. Darum bekommen Ausländer erst dann das Wahlrecht, wenn sie Deutsche geworden sind. Um Deutsche zu werden müssen sie lange in Deutschland gelebt haben, sich während dieser Zeit nicht strafbar gemacht haben und einigermaßen gut Deutsch sprechen.
Die Wahlen zum Bundestag sind deshalb «allgemein», weil jeder, der erwachsen und Deutscher ist, mitwählen darf. Das war nicht immer so. Frauen dürfen in Deutschland erst seit 1919 wählen. Es gibt Länder, da dürfen sie das heute noch nicht. Damit möglichst viele Menschen wählen, finden die Wahlen immer sonntags statt, da die meisten Menschen an diesem Tag nicht arbeiten.
Unmittelbare Wahl – die Stimme kommt direkt an
Jede Stimme, die bei den Bundestagswahlen abgegeben wird, hat eine unmittelbare Auswirkung auf das Ergebnis der Wahl.
Euer Lehrer schlägt vor, dass alle Schüler und Schülerinnen zunächst fünf von euch auswählen, die dann den Klassensprecher wählen sollen. Dein Lehrer bezeichnet sie als «Wahlmänner und Wahlfrauen». Du denkst darüber nach, was daran gut sein soll. Du möchtest gern Timm zum Klassensprecher wählen und würdest dies auch gern unmittelbar tun. Wenn du erst fünf Wahlmänner und Wahlfrauen wählen musst, wer weiß, wen die dann wählen? Deine Mitschüler und Mitschülerinnen sehen das genau so. Jeder will die Entscheidung, wer Klassensprecher wird, selbst treffen und sie nicht einem anderen überlassen.
Eine Wahl mit «Wahlmännern und Wahlfrauen» sieht unser Grundgesetz nicht vor. Es würde gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit verstoßen. In den USA ist das übrigens anders. Da wird der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika über Wahlmänner gewählt.
Freie Wahl – kein Druck von außen
Jeder Wähler kann frei entscheiden, wen er wählt. Niemand darf auf ihn Zwang oder Druck ausüben.
Euer Klassenlehrer sagt kurz vor der Wahl zum Klassensprecher, dass er es gut fände, wenn Jan Klassensprecher werden würde. Jan sei ein sehr verlässliches Kind, ein aufmerksamer Schüler und könne gut Konflikte klären. Er könne
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