Jurassic Park
hochklettern und versuchen sollte, sie zu retten, weil er sich selber immer für tapfer und cool gehalten hatte, aber sooft er auch versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen und sich zum Hinaufklettern zu zwingen, es ging einfach nicht. Sofort überfiel ihn wieder die Panik, er bekam Atembeschwerden und rührte sich nicht. Er redete sich ein, daß es sowieso sinnlos sei. Wenn die Kinder noch oben auf der Straße waren, würden sie nicht überleben, und da es sowieso nichts gab, was er für sie tun konnte, blieb er besser, wo er war. Außer ihm würde keiner wissen, was passiert war. Und es gab schließlich nichts, was er tun konnte. Also versteckte sich Regis eine halbe Stunde lang zwischen den Felsbrocken, kämpfte gegen die Panik an und versuchte angestrengt, sich nicht zu fragen, ob die Kinder umgekommen waren und was Hammond sagen würde, wenn er es herausfand.
Was ihn schließlich wieder in Bewegung setzte, war das eigenartige Gefühl in seinem Mund. Die eine Seite fühlte sich komisch an, taub und irgendwie kribbelnd, und er fragte sich, ob er sich beim Sturz verletzt hatte. Regis berührte sein Gesicht und spürte geschwollenes Fleisch auf der einen Seite. Es fühlte sich komisch an, tat aber überhaupt nicht weh. Doch dann erkannte er, daß es ein Blutegel war, der an seinen Lippen saugte. Das Ding war fast in seinem Mund! Zitternd vor Übelkeit riß Regis den Egel weg und spürte, wie er sich schmerzhaft vom Fleisch seiner Lippen löste und dann warmes Blut in seinen Mund quoll. Er spuckte aus und warf den Egel angewidert in den Wald. Am Unterarm entdeckte er einen zweiten, riß ihn ebenfalls weg und sah den dunklen Blutstriemen, den er hinterließ. O Gott, wahrscheinlich hatte er sie überall. Der Sturz den Abhang hinunter. Diese Dschungelhügel waren voller Egel. Und die dunklen Felsspalten ebenfalls. Was hatten die Arbeiter erzählt? Die Egel krochen einem in die Unterwäsche. Sie mochten warme Stellen. Sie krochen einem sogar in »Halloo!«
Er hielt inne. Es war eine Stimme, die der Wind zu ihm herüber trug.
»Halloo! Dr. Grant!«
Mein Gott, es war das kleine Mädchen.
Ed Regis horchte auf den Klang ihrer Stimme. Sie klang weder verängstigt noch schmerzverzerrt. Sie rief einfach, auf ihre hartnäckige Art. Und langsam dämmerte es ihm, daß alles ganz anders abgelaufen sein mußte, daß der Tyrannosaurier wieder verschwunden war oder zumindest nicht angegriffen hatte, und daß die anderen vielleicht noch am Leben waren. Grant und Malcolm. Alle waren vielleicht noch am Leben. Und als er sich das überlegte, hatte er sich schlagartig wieder in der Gewalt. So wie man sofort nüchtern wird, wenn die Polizei einen anhält. Es ging ihm wieder besser, weil er wußte, was er zu tun hatte. Während er zwischen den Steinen hervorkroch, überlegte er sich bereits die nächsten Schritte, dachte darüber nach, was er sagen und wie er von jetzt ab die Sache meistern würde.
Zitternd wischte sich Ed Regis den kalten Schlamm von Gesicht und Händen - den Beweis, daß er sich versteckt hatte. Es war ihm nicht peinlich, daß er sich versteckt hatte, aber jetzt mußte er das Heft wieder in die Hand nehmen. Er kletterte zur Straße hoch, doch als er aus dem Laubwerk auftauchte, wußte er einen Augenblick lang nicht, wo er war. Er sah keine Autos. Er stand irgendwo am Fuß eines Hügels. Die Land-Cruiser waren bestimmt weiter oben.
Er ging langsam den Abhang hinauf, zurück zu den Land-Cruisern. Alles war sehr still. Seine Füße platschten in den Schlammpfützen. Das kleine Mädchen war nicht mehr zu hören. Warum hatte sie aufgehört zu rufen? Beim Gehen kam ihm der Gedanke, daß ihr vielleicht etwas passiert war. In diesem Fall sollte er nicht zurückkehren. Vielleicht war der Tyrannosaurier noch irgendwo in der Nähe. Immerhin befand sich er, Ed, bereits am Fuß des Hügels. So viel näher am schützenden Besucherzentrum. Und alles war so still. So unheimlich still.
Ed Regis drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Zentrum.
Alan Grant tastete Lex kurz ab. Sie schien nirgendwo Schmerzen zu haben. Es war erstaunlich: Abgesehen von dem Schnitt am Kopf war sie unverletzt. »Ich hab's Ihnen doch gesagt«, sagte sie. »Aber nachsehen mußte ich schon.«
Der Junge hatte weniger Glück gehabt. Tims Nase war geschwollen und schmerzte; Grant befürchtete, daß sie gebrochen war. Seine rechte Schulter war böse gequetscht und geschwollen. Aber seine Beine schienen in Ordnung zu sein. Beide Kinder konnten
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