Jurassic Park
ihren Händen ruhig, fast zahm. Sie strich ihm ein letztes Mal über den Kopf und ließ es dann frei. Das Tier blieb, wo es war. »Lauf schon, husch!« rief Lex. »Lauf nach Hause!«
Der Raptor drehte sich um und lief in den Dschungel davon.
Grant hatte den Empfänger in der Hand und den Kopfhörer über den Ohren. Muldoon fuhr. Das Auto holperte in südlicher Richtung über die Hauptstraße. Gennaro fragte Grant: »Wie sieht es eigentlich aus, dieses Nest?«
»Das weiß kein Mensch«, antwortete Grant. »Ich dachte, Sie haben welche ausgegraben.«
»Ich habe fossile Dinosauriernester ausgegraben«, sagte Grant. »Aber alle Fossilien sind entstellt vom Gewicht der Jahrtausende. Wir hatten ein paar Vermutungen, haben ein paar Hypothesen aufgestellt, aber niemand weiß wirklich, wie die Nester ausgesehen haben.«
Grant horchte auf die Pieptöne und bedeutete Muldoon, er solle sich mehr nach Westen halten. Es sah immer mehr so aus, als würde Ellie Recht behalten: Das Nest war bei den Vulkanfeldern im Süden.
Grant schüttelte den Kopf. »Man muß sich vor Augen führen, daß wir nicht bis in alle Einzelheiten über das Brutverhalten lebender Reptilien wie Krokodile oder Alligatoren Bescheid wissen. Es ist schwer, sie auf freier Wildbahn zu beobachten.« Aber es war bekannt, daß im Fall der amerikanischen Alligatoren nur das Weibchen das Nest bewachte und auf den Zeitpunkt des Schlüpfens wartete. Der männliche Alligator verbrachte im Frühjahr einige Tage damit, neben dem Weibchen zu liegen und ihr Wasserbläschen auf die Wange zu blasen, um sie für den Geschlechtsakt bereit zu machen und sie schließlich so weit zu bringen, daß sie den Schwanz hob und ihm gestattete, seinen Penis einzuführen. Wenn dann das Weibchen zwei Monate später sein Nest baute, war das Männchen längst verschwunden. Das Weibchen verteidigte sein kegelförmiges, knapp einen Meter hohes Schlammnest heftig, und wenn die Jungen die Schale durchbrachen und zu quieken begannen, half sie ihnen oft beim Schlüpfen, schubste sie zum Wasser und trug sie zur Not sogar ein Stück im Maul.
»Also beschützen ausgewachsene Alligatoren ihre Jungen?«
»Ja«, erwiderte Grant. »Und es gibt auch eine Art Gruppenschutz. Junge Alligatoren stoßen, wenn sie in Not sind, einen markanten Schrei aus, auf den jedes ausgewachsene Tier - ob nun ein Elternteil oder nicht - reagiert und mit einem wütenden Angriff auf die Quelle der Bedrohung zu Hilfe eilt. Nicht nur mit Drohgebärden. Mit einem ernstgemeinten Angriff.«
»Oh.« Gennaro verstummte.
»Aber das ist ein in jeder Hinsicht typisches Reptilienverhalten«, fuhr Grant fort. »Das größte Problem der Alligatoren ist es zum Beispiel, die Eier kühl zu halten. Deshalb liegen die Nester im Schatten. Eine Temperatur über 37 Grad ist tödlich für die Eier, und deshalb bewacht die Mutter die Eier vorwiegend, um sie kühl zuhalten.«
»Und Dinosaurier sind keine Reptilien«, bemerkte Muldoon lakonisch.
»Genau. Das Brutverhalten von Dinosauriern ist möglicherweise dem von Vögeln viel ähnlicher.«
»Im Prinzip sagen Sie damit doch nur, daß Sie es nicht wissen«, sagte Gennaro gereizt. »Sie wissen nicht, wie die Nester aussehen, oder?«
»Nein«, antwortete Grant. »Ich weiß es nicht.«
»Na schön«, sagte Gennaro. »So viel zu den verdammten Experten.«
Grant beachtete ihn nicht weiter. Er konnte bereits den Schwefel riechen. Vor sich sah er die aufsteigenden Dampfschwaden der Vulkanfelder.
Der Boden ist heiß, dachte Gennaro im Gehen. Und er war wirklich heiß. Hier und dort blubberte Schlamm und spritzte vom Boden hoch. Und der nach Schwefel stinkende Dampf zischte in schulterhohen Fontänen aus der Erde. Gennaro fühlte sich, als würde er durch die Hölle laufen.
Er sah zu Grant hinüber, der den Kopfhörer wieder aufgesetzt hatte und dem Piepton folgte. Grant wirkte in seinen Cowboystiefeln, den Jeans und dem Hawaiihemd sehr gelassen, während Gennaro sich ganz und gar nicht so fühlte. Er hatte Angst in dieser stinkenden Hölle, wo überall Velociraptoren lauern konnten. Er verstand nicht, wie Grant so ruhig bleiben konnte.
Oder die Frau. Diese Sattler. Sie ging ebenso gelassen neben ihm und sah sich um.
»Macht Ihnen denn das nichts aus?« fragte er. »Ich meine, haben Sie keine Angst?«
»Wir müssen es tun«, antwortete Grant. Sonst sagte er nichts. Sie gingen zwischen den zischenden Geysiren hindurch vorwärts. Gennaro tastete nach den Gasgranaten, die an seinem
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