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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Arbeiten dabei heraus, die mich schockierten: zum Beispiel eine Einladung, auf der er eine Peitsche im Arsch stecken hatte, oder eine Reihe von Fotografien abgeschnürter Genitalien. Er arbeitete längst nicht mehr mit Fotos, die er aus Magazinen ausgeschnitten hatte, er benutzte nur noch Modelle und den eigenen Körper, um selbst zugefügte Schmerzen im Bild festzuhalten. Ich bewunderte ihn dafür, doch die Brutalität konnte ich nicht nachvollziehen. Es war schwer für mich, es mit dem Jungen in Einklang zu bringen, den ich vor Jahren kennengelernt hatte.
    Wenn ich mir andererseits heute Roberts Arbeiten ansehe, dann sagen die Fotografierten nicht: Oh, tut mir leid, mein Schwanz hängt raus. Robert tat nichts leid, und er wollte auch nicht, dass es den anderen leidtat. Er wollte, dass seinen Modellen die Bilder gefielen, sei es ein S&M-Typ, der sich Nägel in den Schwanz schob, oder eine blendende Society-Schönheit. Er wollte, dass alle zufrieden waren.
    Robert hielt seine Arbeiten nicht für massentauglich. Als er seine radikalsten Aufnahmen zum ersten Mal ausstellte, lagen sie in einer mit X markierten Mappe in einer Glasvitrine, die erst ab achtzehn zugänglich war. Es lag ihm fern, Menschen seine Bilder aufzudrängen; höchstens mir, um mich ein bisschen aufzuziehen.
    Als ich ihn einmal fragte, warum er derartige Fotos mache, sagte er, irgendjemand müsse es tun, warum dann nicht er? Er genoss das Privileg, Akte von extremem, einvernehmlichem Sex sehen zu dürfen. Und seine Akteure vertrauten ihm. Er legte es nicht auf Enthüllungen an, sondern wollte bestimmte Aspekte von Sexualität künstlerisch dokumentieren, wie es vor ihm nochnie jemand getan hatte. Roberts größter künstlerischer Antrieb bestand darin, etwas zu schaffen, das so noch nie jemand hervorgebracht hatte.
    Das alles änderte nicht das Geringste an seinem Verhalten mir gegenüber. Trotzdem machte ich mir Sorgen um ihn, da er sich gelegentlich in einen düsteren, gefährlicheren Zustand zu manövrieren schien. Im Idealfall fand er in unserer Beziehung eine Zuflucht vor alldem, er konnte sich darin verstecken oder zusammenrollen wie ein erschöpftes Schlangenbaby.
    »Du solltest mehr singen«, sagte Robert immer, wenn ich ihm etwas von Piaf vorsang, oder eine der alten Nummern, die wir beide so mochten. Lenny und ich hatten etliche Stücke drauf und stellten allmählich ein Repertoire zusammen, fühlten uns damit jedoch noch zu beschränkt. Was uns vorschwebte, war, von den Gedichten ausgehend, eine rhythmische Struktur zu finden, zu der wir beide abriffen konnten. Auch wenn wir die geeignete Person dafür noch finden mussten, waren wir uns schon einig, dass ein Klavier gut zu unserem Stil passen würde, weil es perkussiv und melodisch zugleich ist.
    Jane Friedman stellte uns einen kleinen Raum in dem Stockwerk zur Verfügung, das sie über dem Victoria Theatre in der Forty-fifth Street, Ecke Broadway angemietet hatte. Dort stand ein altes Klavier, und am St. Joseph’s Day luden wir ein paar Keyboarder ein, um zu sehen, ob vielleicht unser dritter Mann darunter war. Den Besten hatte man uns bis zuletzt aufgehoben, wie bei der Hochzeit zu Kanaan. Von Danny Fields geschickt, marschierte Richard Sohl in den Raum, das Gesicht unter einer Flut blonder Locken verborgen, im Ringelhemd mit U-Boot-Kragen und zerknitterter Leinenhose. Seine Schönheit und lakonische Art ließen nicht erahnen, wie begnadet er als Pianist war. Als er sich ans Klavier setzte, schauten Lenny und ich uns an und dachten beide das Gleiche: Man musste sofort an Tadzio aus Der Tod in Venedig denken.

    »Was hättet ihr denn gern?«, fragte er locker, und schon spielte er ein Medley von Mendelssohn über Marvin Gaye bis MacArthur Park. Richard Sohl war neunzehn und hatte eine klassische Musikausbildung genossen, war aber so unkompliziert, wie es nur wirklich selbstsichere Musiker sind, die mit ihren Kenntnissen nicht protzen müssen. Er spielte genauso gerne immer wieder die gleichen drei Akkorde wie eine Beethoven-Sonate. Dank Richard waren wir in der Lage, übergangslos zwischen Improvisation und Song zu wechseln. Er war intuitiv und einfallsreich und lieferte das Grundgerüst, auf dem Lenny und ich mit unserer eigenen Sprache experimentieren konnten. Wir tauften unser Konzept: »Drei Akkorde fusionierten mit der Macht des Wortes«.
    Am ersten Frühlingstag probten wir mit Richard für unsere Premiere als Trio. Im Reno Sweeney’s herrschte eine angeregte, pseudoelegante

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