Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
Vom Netzwerk:
zog mir frische Sachen an, schlüpfte in meinen Regenmantel und trat in dieNacht von Charleville hinaus. Es war ziemlich finster, als ich den breiten und menschenleeren Quai Rimbaud hinunterging. Ich hatte ein etwas ungutes Gefühl, aber da sah ich in der Ferne ein winziges Licht, eine Leuchtreklame – Rimbaud Bar. Ich blieb stehen und atmete tief durch; ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich ging langsam auf das Gebäude zu und befürchtete schon, es könnte sich plötzlich in Luft auflösen wie eine Fata Morgana in der Wüste. Es erwies sich als weiß verputzte Kneipe mit nur einem kleinen Fenster. Auf der Straße war niemand zu sehen. Zögernd trat ich ein. Drinnen gab es nur spärliche Beleuchtung und hauptsächlich Halbstarke, Jungs mit trotzigen Gesichtern, die an der Jukebox lehnten. An den Wänden ein paar vergilbte Bilder von Arthur. Ich bestellte Pernod und Wasser, da mir das dem Absinth noch am nächsten zu kommen schien. Die Jukebox spielte ein verrücktes Potpourri aus Charles Aznavour, Countrysongs und Cat Stevens.
    Nach einer Weile ging ich wieder und kehrte in die behagliche Wärme meines Hotelzimmers mit seinem geblümten Landhausdekor zurück. Tiny flowers spattering the wall, just as the sky had been spattered with budding stars. / Winzige Blumen sprenkeln die Wand / wie knospende Sterne den Himmel sprenkeln. Das war der einsame Eintrag in meinem Notizbuch. Ich hatte mir vorgestellt, ich würde hier Worte schreiben, die Nerven in der Luft zerreißen, Rimbaud Ehre machen und den Glauben aller an mich rechtfertigen würden, aber daraus wurde nichts.
    Am nächsten Morgen bezahlte ich meine Rechnung und stellte meinen Koffer in der Lobby ab. Es war Sonntagmorgen, die Kirchenglocken läuteten. Ich hatte mein weißes Hemd angezogen und meinen schwarzen Baudelaire-Binder um. Mein Hemd war etwas zerknittert, aber warum sollte es ihm besser gehen als mir. Ich ging noch einmal zum Museum, das zum Glück geöffnet hatte, und kaufte eine Eintrittskarte. Ich setzte mich auf den Boden und fertigte eine kleine Bleistiftzeichnung an – St. Rimbaud, Charleville, Oktober 1973 .

    Ich wollte ein Souvenir mit heimbringen und fand einen kleinen Flohmarkt auf der Place Ducale. Dort entdeckte ich einen schlichten Ring aus Golddraht, konnte ihn mir aber nicht leisten. John McKendry hatte mir einmal einen ganz ähnlichen Ring aus Paris mitgebracht. Ich erinnerte mich daran, wie er auf seiner eleganten Chaiselongue gelegen und mir aus Eine Zeit in der Hölle vorgelesen hatte, während ich zu seinen Füßen saß. Ich wünschte mir, Robert wäre hier an meiner Seite. Er hätte mir den Ring gekauft und über den Finger gestreift.
    Die Zugfahrt zurück nach Paris verlief ereignislos. Irgendwann während der Fahrt merkte ich, dass ich weinte. In Paris angekommen, stieg ich in die Metro zum Père-Lachaise, denn etwas gab es noch zu erledigen, bevor ich heim nach New York konnte. Es regnete schon wieder. In einem Blumenladen vor dem Friedhof kaufte ich einen kleinen Strauß Hyazinthen und machte mich dann auf die Suche nach dem Grab von Jim Morrison. Damals gab es noch keine Hinweisschilder, und der Weg war nicht leicht zu finden, doch ich orientierte mich einfach an den Botschaften, die Gleichgesinnte auf die benachbarten Grabsteine geschriebenhatten. Es war vollkommen still, abgesehen vom Rascheln des Herbstlaubs und dem Rauschen des Regens, das nun lauter wurde. Auf dem namenlosen Grab lagen die Opfergaben der Pilger, die vor mir hier gewesen waren: Plastikblumen, Zigarettenstummel, halb leere Whiskyflaschen, zerrissene Rosenkränze und seltsame Glücksbringer. Die Graffitis ringsum zitierten auf Französisch aus seinem eigenen Song: »C’est la fin, mon merveilleux ami«. This is the end, beautiful friend.
    Mir war ungewohnt leicht ums Herz, ich war keine Spur traurig. Ich hatte das Gefühl, er könne gleich aus dem feuchten Dunst hervortreten und mir auf die Schulter tippen. Ich fand, es passte zu ihm, dass er hier in Paris beigesetzt war. Es begann jetzt richtig zu regnen. Ich wollte aufbrechen, weil ich so durchnässt war, aber ich stand wie angewurzelt. Ich hatte das bange Gefühl, ich würde zu Stein erstarren, zu einer Statue mit Hyazinthen im Arm, wenn ich nicht auf der Stelle die Flucht ergriff.
    Etwas entfernt sah ich eine alte Frau in einem dicken Mantel, die mit einem langen spitzen Stock bewaffnet war und einen schweren Sack hinter sich herzerrte. Sie säuberte die Gräber. Als sie mich sah, begann sie mich auf

Weitere Kostenlose Bücher