Just Kids
immer, der Ansicht, ich könnte es wagen, mit ihm einen Trip zu schmeißen. Es war mein erstes Mal, und während wir darauf warteten, dass die Wirkung einsetzte, saßen wir auf meiner Feuertreppe mit Blick über die MacDougal Street.
»Hast du vielleicht Lust auf Sex?«, fragte mich Robert. Ich war überrascht und angenehm berührt, dass er mich immer noch begehrte. Doch bevor ich etwas darauf sagen konnte, nahm Robert meine Hand und sagte: »Entschuldige.«
In dieser Nacht gingen wir die Christopher Street runter zum Fluss. Es war zwei Uhr morgens, die Müllabfuhr streikte, und im Licht der Straßenlaternen huschten Ratten umher. Während wir uns dem Fluss näherten, gerieten wir in einen irren Auftrieb von Tunten, Bärtigen in Tutus, Lederheiligen und -engeln. Ich kam mir vor wie der Wanderprediger in Die Nacht des Jägers. Alles nahm eine bedrohliche Färbung an, der Geruch nach Patchouli-Öl, Poppers und Ammoniak. Ich wurde zunehmend flatteriger.
Robert wirkte leicht amüsiert. »Patti, du müsstest im Moment eigentlich alle lieben.« Aber ich konnte mich nicht entspannen. Es schien alles auszuarten, verschwamm zu orangefarben, rosa und giftgrün schimmernden Schemen. Es war eine feuchtheiße Nacht. Kein Mond und keine Sterne, weder echte noch halluzinierte.
Robert legte mir den Arm um die Schultern und brachte mich heim. Ich brauchte eine Weile, um diesen Trip einordnen zu können, dieses Pandämonium der Stadt. Willkürlicher Sex. Flitterbesetzte Schleppen, die von muskulösen Armen flattern. Katholische Medaillons, von glattrasierten Hälsen gerissen. Dieses großartige Festival, dem ich mich nicht hatte öffnen können. Ich schrieb nichts in dieser Nacht, aber die Bilder marodierender Cockettes und Wild Boys zeugten bald darauf die Vision von einem teetrinkenden Jungen in einem Korridor.
William Burroughs war zugleich alt und jung. Halb Sheriff, halb Privatschnüffler. Hundert Prozent Dichter. Er besaß ein Medizinschränkchen, das immer abgeschlossen war, aber wenn man Schmerzen hatte, schloss er es auf. Er sah Menschen, die er mochte, nicht gerne leiden. Wer Hunger litt, den speiste er. Dannstand er plötzlich mit einem in Zeitungspapier gewickelten Fisch vor deiner Tür und briet ihn auch noch für dich. Er war für ein Mädchen unerreichbar, aber ich liebte ihn trotzdem.
Er hauste mit seiner Schreibmaschine, seiner Flinte und seinem Mantel in einer fensterlosen Unterkunft. Von Zeit zu Zeit schmiss er sich in seinen Mantel, kam zu uns rüber und setzte sich auf den eigens für ihn reservierten Platz vor der Bühne. Oft saß Robert in seiner Lederjacke an Williams Seite. Johnny and the horse.
Wir waren mitten in einem mehrwöchigen Engagement im CBGB, das im Februar begonnen hatte und bis in den Frühling andauerte. Wir traten zusammen mit Television auf, wie schon im Sommer zuvor im Max’s, und spielten von donnerstags bis sonntags abwechselnd zwei Sets. Es war das erste Mal, dass wir als Band regelmäßig auftraten, und es half uns, den roten Faden zu finden, der die unterschiedlichen Strömungen in unseren Sachen zusammenhielt.
Im November waren wir mit Jane Friedman nach Los Angeles gereist, zu unserem ersten Auftritt im Whisky à GoGo, wo schon die Doors gespielt hatten, und dann weiter nach San Francisco. Dort hatten wir über dem Ladenlokal von Rather Ripped Records in Berkeley gespielt und bei einer Audition Night im Filmore West, mit Jonathan Richman am Schlagzeug. Ich war zum ersten Mal in San Francisco, und natürlich waren wir zu City Lights gepilgert, in dessen Schaufenster die Bücher all unserer Freunde standen. Während dieser ersten Reise, die uns aus New York herausführte, fassten wir den Entschluss, einen weiteren Gitarristen zu finden, um unseren Sound auszubauen. Wir hörten Musik in unseren Köpfen, die wir in unserer Trio-Besetzung nicht hinbekamen.
Wieder in New York, schalteten wir eine Suchanzeige in der Village Voice. Die meisten, die sich daraufhin meldeten, hatten bereits konkrete Vorstellungen, was sie machen oder wie sie klingen wollten, und so gut wie keiner konnte sich für ein Mädchen als Chef erwärmen. Meinen dritten Mann fand ich schließlich inGestalt eines reizenden Tschechen. In seiner ganzen Erscheinung und seinem musikalischen Stil huldigte er der Tradition und dem Versprechen des Rock’n’Roll, etwa so, wie die Rolling Stones den Blues zelebriert hatten. In Prag hatte er eine vielversprechende Karriere als Popstar vor sich gehabt, doch mit dem
Weitere Kostenlose Bücher