Just Kids
Einmarsch der Russen 1968 hatten sich all seine Träume zerschlagen. Nach der Flucht mit seiner Familie musste er wieder ganz von vorne anfangen. Er barst vor Energie, war für alles offen und bereit, unser sich ständig ausweitendes Rock’n’Roll-Konzept mitzutragen und zu verstärken.
Wir betrachteten uns als die Sons of Liberty und sahen unsere Mission darin, den revolutionären Geist des Rock’n’Roll zu bewahren, zu schützen und weiterzutragen. Uns alle trieb die Furcht, die Musik, die unsere Muttermilch gewesen war, sei dabei, spirituell zu verkümmern. Wir fürchteten, sie würde ihre Durchschlagskraft einbüßen, wir fürchteten, sie würde in fette Hände fallen und in einem Morast von Bombast, Geschäftemacherei und leerer Virtuosität untergehen. Wir sahen uns wie Paul Revere durch die amerikanische Nacht reiten, die Menschen aus dem Schlaf reißen und zu den Waffen rufen. Auch wir wollten zu den Waffen greifen, den Waffen unserer Generation, der elektrischen Gitarre und dem Mikrofon.
Das CBGB war der ideale Ort für diesen Fanfarenstoß. Ein Klub auf der Straße der Geknechteten, der eine seltsame Klientel anzog, die wiederum noch unbesungene Künstler mit offenen Armen aufnahm. Für Hilly Kristal galt nur eins: Um dort auftreten zu dürfen, musste man neu und originell sein.
Vom tiefsten Winter bis zum Frühlingsanfang holperten und stolperten wir so dahin, bis wir unsere Gangart gefunden hatten. Während wir spielten, entwickelten die Songs ein Eigenleben und sogen nicht selten die Energie des Publikums auf, die Atmosphäre des Ladens, unser zunehmendes Selbstvertrauen und die Ereignisse, die in unserem unmittelbaren Umfeld passierten.
Ich erinnere mich an so viele einzelne Eindrücke aus dieser Zeit.Der Geruch nach Pisse und Bier. Die verschlungenen Gitarrenläufe von Richard Lloyd und Tom Verlaine, die sich zu Kingdom Come formierten. Eine Version von Land – »verbrannte Erde«, wie Lenny es nannte –, in der Johnny sich seinen eigenen Weg freisprengt, auf mich zurast aus der von wilden Jungs beherrschten Acid-Nacht, vom Spind auf dem Korridor zum Ozean der Möglichkeiten, als hätten wir einen direkten Draht zum dritten beziehungsweise vierten Sinn von William und Robert, die direkt vor uns saßen. Ich erinnere mich, dass Lou Reed da war, dessen Pionierleistung für die Synthese von Dichtung und Rock’n’Roll uns allen den Weg geebnet hat. Die hauchdünne Linie zwischen Bühne und Publikum, die Menschen, die Gesichter aller, die uns unterstützten. Jane Friedman, die uns strahlend mit Clive Davis, dem Präsidenten von Arista Records, bekannt machte. Sie spürte, dass er, sein Label und wir wie füreinander gemacht waren. Und an mich, wie ich am Ende jedes Abends vor der Markise mit der Aufschrift CBGB & OMFUG stehe und zusehe, wie die Jungs unser bescheidenes Equipment in den Fond von Lennys 64er Impala packen.
Zu dieser Zeit tourte Allen so intensiv mit Blue Öyster Cult, dass sich einige schon fragten, wie ich an jemandem festhalten konnte, der praktisch nie zu Hause war. Tatsächlich lag mir sehr viel an ihm, und ich dachte, was uns verband, sei stark genug, um seine langen Abwesenheiten zu überstehen. Viel Zeit für mich zu haben, verschaffte mir den nötigen Freiraum, an meiner eigenen künstlerischen Weiterentwicklung zu arbeiten, doch nach einer Weile kam heraus, dass er wiederholt mein Vertrauen grob missbraucht hatte, wobei er uns beide gefährdete und seine Gesundheit riskierte. Dieser liebenswürdige, intelligente und scheinbar so gesittete Mann pflegte auf Tour einen Lebensstil, der nichts mit dem zu tun hatte, was ich für unser stillschweigendes Einvernehmen hielt. Unsere Beziehung ging schließlich daran kaputt, doch das änderte weder etwas an dem Respekt, den ich für ihn empfand, noch ander Dankbarkeit für alles, was er für mich getan hat, als ich mich auf unbekanntes Terrain wagte.
Der Sender WBAI war eine der letzten Bastionen revolutionärer Gesinnung in der Radiolandschaft. Am 28. Mai 1975 gaben wir zu seinen Gunsten ein Benefizkonzert in einer Kirche an der Upper East Side. Wir waren die Idealbesetzung für eine unzensierte Live-Übertragung, nicht nur in ideologischer, auch in ästhetischer Hinsicht. Weil wir uns an keinerlei Vorgaben halten mussten, konnten wir nach Belieben improvisieren, was ausgesprochen selten war, selbst bei den progressivsten FM-Sendern. Wir waren uns sehr bewusst, wie viele Menschen wir damit erreichten – unser erstes Mal im
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