Just Kids
Mischpult, und im Aufnahmeraum bauten Lenny, Richard, Ivan und Jay Dee ihr Equipment auf.
Die nächsten fünf Wochen waren wir mit der Aufnahme und dem Abmischen von Horses, meinem ersten Album, beschäftigt. Jimi Hendrix war nie zurückgekehrt, um seine neue Musiksprache zu schaffen, doch sein Studio war uns geblieben, und seine großen Hoffnungen für die Zukunft der Stimme unserer Kultur waren noch überall spürbar. Diese Dinge trieben mich um, als ich in die Vocal Booth trat: Meine Dankbarkeit für den Rock’n’Roll, der mir durch schwierige Jahre meiner Jugend geholfen hatte. DieFreude, die ich beim Tanzen empfand. Die moralische Kraft, die ich daraus zog, eigenverantwortlich für mich und mein Tun zu sein.
All das findet sich in Horses wieder, aber auch unsere Verbeugung vor denen, die uns den Weg bereitet haben. In Birdland warten wir mit dem jungen Peter Reich darauf, dass sein Vater Wilhelm Reich vom Himmel herabsteigt, um ihn holen zu kommen. In Break It Up erzählen Tom Verlaine und ich von einem Traum, in dem Jim Morrison wie Prometheus gefesselt ist und sich plötzlich losreißt. Land verschränkt die Wild-Boys-Bildwelt mit den Stationen von Hendrix’ Sterben. In Elegie sind sie alle versammelt: gegenwärtig, gestern, heute, morgen, alle, die wir verloren hatten oder zuletzt endgültig verlieren würden.
Es hatte von Anfang an festgestanden, dass niemand anderer als Robert das Coverfoto für Horses machen würde; Roberts Bild würde die Scheide für mein akustisches Schwert zieren. Ich hatte noch keine Vorstellung davon, wie das Foto aussehen sollte, ich wusste nur, dass es wahrhaftig sein sollte. Das Einzige, was ich Robert versprochen hatte, war, mir ein sauberes Hemd anzuziehen, ganz ohne Flecken.
Ich kaufte mir bei der Heilsarmee auf der Bowery einen Stapel weißer Oberhemden. Einige waren mir zu groß, aber das, das mir am besten gefiel, war ordentlich gebügelt und trug ein Monogramm unter der Brusttasche. Es erinnerte mich an ein Foto von Brassai, das Jean Genet in einem weißen Hemd mit Monogramm und aufgerollten Ärmeln zeigt. In mein Hemd war ein RV eingestickt. Ich malte mir aus, es hätte früher Roger Vadim gehört, dem Regisseur von Barbarella. Ich trennte die Ärmelaufschläge ab, damit es unter mein schwarzes Jackett passte, das ich mit der Pferde-Anstecknadel schmückte, die mir Allen Lanier geschenkt hatte.
Robert wollte mich in der Wohnung von Sam Wagstaff fotografieren, da dessen Penthouse in der Hausnummer eins der Fifth Avenue von Tageslicht durchflutet wurde. Das Eckfenster warfein Schattendreieck, das Robert unbedingt für die Aufnahme nutzen wollte.
Ich rollte mich aus dem Bett und stellte fest, dass ich spät dran war. In Windeseile brachte ich mein Morgenritual hinter mich: Ich lief zur marokkanischen Bäckerei um die Ecke, schnappte mir ein knuspriges Brötchen, einen Zweig Minze und ein paar Sardellen. Wieder zu Hause, setzte ich Wasser auf und steckte die Minze ins Teekännchen. Ich träufelte Olivenöl in das aufgeschnittene Brötchen, spülte die Sardellen ab, legte sie ins Brötchen und streute Cayennepfeffer drüber. Ich schenkte mir ein Glas Tee ein und wartete noch damit, mir mein neues Hemd anzuziehen, ich hätte es mir sonst mit Olivenöl vollgetropft.
Robert kam mich abholen. Er war unzufrieden, weil es sehr bedeckt war. Ich zog mich fertig an: schwarze, schmal zulaufende Hose, weiße Baumwollsocken, schwarze Capezio-Ballerinas. Dazu noch meinen Lieblingsbinder. Robert bürstete mir die Krümel vom schwarzen Jackett.
Wir gingen raus. Er hatte Hunger, weigerte sich jedoch, mein Sardellenbrötchen zu essen, also aßen wir schließlich Maisgrütze mit Eiern im Pink Tea Cup auf der Christopher Street. Irgendwie verrann der Tag. Es war bewölkt, dunkel, und Robert wartete immer noch auf Sonne. Endlich klarte es am späten Nachmittag auf. Wir überquerten gerade den Washington Square, als der Himmel sich wieder zu verdunkeln drohte. Robert hatte Angst, wir könnten das letzte Sonnenlicht verpassen, daher rannten wir den Rest des Weges zur Hausnummer eins Fifth Avenue.
Das Licht schwand bereits. Robert hatte keinen Assistenten. Wir sprachen nie darüber, was wir machen wollten und wie es aussehen sollte. Er fotografierte einfach. Ich ließ mich einfach fotografieren.
Ich konzentrierte mich ganz aufs Aussehen. Er konzentrierte sich aufs Licht. Mehr war nicht nötig.
Sams Wohnung war spartanisch eingerichtet, alles in weiß gestrichen und nahezu unmöbliert.
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