Just Kids
einem Altar. Zuletzt richtete er ein Arbeitseckchen für mich ein, mit einem kleinen Tisch und meinem abgewetzten fliegenden Teppich.
Wir legten unsere Habseligkeiten zusammen. Meine paar Schallplatten kamen zu seinen in die Orangenkiste. Mein Wintermantel hing neben seiner Schaffellweste.
Mein Bruder hatte uns eine neue Nadel für den Plattenspieler geschenkt, und meine Mutter uns Frikadellen-Sandwiches in Alufolie gemacht. Wir aßen sie und hörten uns glücklich Tim Hardin an, dessen Songs unsere Songs wurden, der Ausdruck unserer jungen Liebe. Meine Mutter hatte mir außerdem einen Koffer voller Bettlaken und Kopfkissenbezüge mitgegeben. Sie waren weich und vertraut und vom jahrelangen Gebrauch ganz seidig geworden. Sie riefen in mir das Bild meiner Mutter im Garten hervor, die zufrieden zusah, wie die Wäsche auf der Leine im Sonnenschein flatterte.
All meine Schätze lagen zwischen der Wäsche. Mein Arbeitsbereich war ein wüstes Durcheinander von Manuskriptseiten, stockfleckigen Klassikern, kaputtem Spielzeug und Talismanen. Ich heftete Bilder von Rimbaud, Bob Dylan, Lotte Lenya, Piaf, Genet und John Lennon über ein provisorisches Pult, auf dem ich meine Federn, mein Tintenfass und meine Kladden arrangierte – mein mönchisches Durcheinander.
Ich hatte ein paar Buntstifte und ein Zeichenbrett nach New York mitgebracht. Ich hatte ein Mädchen an einem Tisch vor aufgefächerten Karten gezeichnet, ein Mädchen, das seine Zukunft deutete. Es war die einzige Zeichnung, die ich Robert zeigen konnte, und sie gefiel ihm sehr. Er wollte, dass ich erfuhr, wie es war, mit gutem Papier und guten Zeichenstiften zu arbeiten, und gab mir von seinem Material etwas ab. Wir konnten stundenlang hochkonzentriert Seite an Seite arbeiten.
Wir hatten nicht viel Geld, aber wir waren glücklich. Robert arbeitete halbtags und kümmerte sich um die Wohnung. Ich machte die Wäsche und bereitete unsere Mahlzeiten zu, die ausgesprochen frugal waren. Wir gingen immer in eine italienische Bäckerei in einer Seitenstraße der Waverly. Wir nahmen entweder einen schönen Laib Brot vom Vortag oder 250 Gramm von ihren altbackenen Plätzchen, die es zum halben Preis gab. Robert liebte Süßes, darum gewannen oft die Plätzchen. Manchmal gab die Frau hinter der Theke uns auch etwas extra und füllte die braune Tüte bis zum Rand mit gelb-braunen Schnecken, schüttelte den Kopf und murmelte etwas Freundlich-Missbilligendes. Wahrscheinlich wusste sie, dass es unser ganzes Abendessen war. Wir ergänztenes mit einem Kaffee zum Mitnehmen und einer Tüte Milch. Robert liebte Schokoladenmilch, aber die war teurer, und wir drehten jeden Cent zweimal um.
Wir hatten unsere Arbeit, und wir hatten uns. Wir hatten kein Geld, um zu Konzerten oder ins Kino zu gehen oder uns neue Platten zu kaufen, aber die, die wir hatten, spielten wir rauf und runter. Wir hörten meine Madame Butterfly, gesungen von Eleanor Steber. A Love Supreme. Between the Buttons. Joan Baez und Blonde on Blonde. Robert machte mich mit seinen Favoriten bekant – Vanilla Fudge, Tim Buckley, Tim Hardin – und seine History of Motown bildete den Hintergrund für unsere wunderbaren gemeinsamen Nächte.
An einem Tag im Spätsommer zogen wir uns unsere Lieblingssachen an, ich meine Beatnik-Sandalen und löchrigen Schals, Robert behängte sich mit seinen Glasperlen und trug die Schaffellweste. Wir fuhren mit der U-Bahn zur West Fourth Street und verbrachten den Nachmittag am Washington Square. Wir teilten uns Kaffee aus einer Thermoskanne und beobachteten die Ströme von Touristen, Kiffern und Folksängern. Glühende Revolutionäre verteilten Flugblätter gegen den Krieg. Schachspieler zogen ihr eigenes Publikum an. Es war ein friedliches Nebeneinander, gebettet auf einen Klangteppich aus Tiraden, Bongos und Hundegebell.
Wir gingen gerade auf den Springbrunnen zu, das Epizentrum aller Aktivität, als ein älteres Paar stehen blieb und uns unverhohlen angaffte. Robert freute sich, dass er Aufmerksamkeit erregte, und drückte liebevoll meine Hand.
»Oh, mach doch ein Foto von ihnen«, sagte die Frau zu ihrem verwirrten Ehemann, »ich glaube, das sind Künstler.«
»Ach, Unsinn«, sagte er. »Das sind Kids wie alle anderen.«
Die Blätter färbten sich burgunderrot und golden. Auf den Eingangstreppen der Brownstone-Häuser auf der Clinton Avenue standen geschnitzte Kürbisse.
Wir machten Nachtspaziergänge. Manchmal konnten wir über uns die Venus sehen. Sie war der Schäferstern und
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