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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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der Stern der Liebe. Robert nannte sie unseren blauen Stern. Er übte, das »t« in Robert als kleinen Stern zu schreiben, und unterschrieb in blau, damit ich es mir einprägte.
    Ich lernte ihn allmählich besser kennen. Er hatte absolutes Vertrauen in seine Arbeit und in mich, trotzdem machte er sich unablässig Sorgen um unsere Zukunft, wie wir überleben würden, über Geld. Ich meinte, wir waren zu jung, um uns solche Sorgen zu machen. Ich war glücklich, einfach nur frei zu sein. Die Ungewissheit über die praktische Seite unseres Lebens verfolgte ihn, obwohl ich tat, was ich konnte, um ihn zu entlasten.
    Er suchte, bewusst oder unbewusst, nach sich selbst. Er hatte gerade erst eine Häutung durchgemacht. Er hatte seine ROTOC-Uniform abgestreift und mit ihr sein Stipendium, seine Laufbahn als Werbegrafiker und alle Erwartungen, die sein Vater in ihn gesetzt hatte. Mit siebzehn hatte er sich in das Prestige der Pershing Rifles verliebt, einer militärischen Studentenorganisation; die Messingknöpfe, hochglanzpolierten Stiefel, Tressen und Ordensbänder hatten es Robert angetan. Die Anziehungskraft lag für ihn in der Uniform, genau wie der Ornat eines Messdieners ihn zum Altar gezogen hatte. Doch er diente der Kunst, nicht der Kirche oder seinem Land. Seine Glasperlen, seine Jeans und seine Schaffellweste stellten kein Kostüm dar, sie waren ein Ausdruck von Freiheit.
    Nach der Arbeit traf ich mich mit ihm in Downtown, und wir spazierten durch das gelb gefilterte Licht des East Village, am Fillmore East, am Electric Circus und am Five Spot vorbei, den Läden, an denen wir auch bei unserem ersten gemeinsamen Spaziergang vorbeigekommen waren.
    Es war schon aufregend, nur draußen vor den heiligen Hallen des Birdland zu stehen, das mit der Gegenwart John Coltranes gesegnet gewesen war, oder vor dem Five Spot am St. Mark’s Place, wo Billie Holiday gesungen hatte, wo Eric Dolphy und OrnetteColeman den Begriff von Jazz geöffnet hatten wie menschliche Dosenöffner.
    Reinzugehen konnten wir uns nicht leisten. Manchmal gingen wir in Kunstmuseen. Das Geld reichte immer nur für eine Karte, deshalb ging nur einer von uns rein, sah sich die Ausstellungsstücke an und beschrieb dem anderen dann alles.
    Bei einer dieser Gelegenheiten gingen wir in das relativ junge Whitney-Museum auf der Upper East Side. Ich war dran mit Reingehen und betrat es zögernd ohne ihn. Ich erinnere mich nicht mehr an die Ausstellung, aber ich weiß noch, dass ich durch eins der einzigartigen trapezförmigen Fenster schaute und Robert auf der anderen Straßenseite stehen sah, an eine Parkuhr gelehnt und eine Zigarette rauchend.
    Er wartete auf mich, und als wir runter zur U-Bahn gingen, sagte er: »Eines Tages werden wir beide reingehen, und die Kunst ist dann unsere eigene.«
    Einige Abende später überraschte er mich und führte mich aus zu unserem ersten Kinobesuch. Irgendwer auf der Arbeit hatte ihm zwei Karten für eine Preview von Wie ich den Krieg gewann von Richard Lester geschenkt. John Lennon spielte eine entscheidende Rolle als Soldat Gripweed. Ich freute mich, John Lennon zu sehen, aber Robert verschlief den ganzen Film, den Kopf auf meiner Schulter.
    Robert hatte kein besonderes Interesse an Filmen. Sein Lieblingsfilm war Fieber im Blut. Der einzige andere Film, den wir in diesem Jahr sahen, war Bonnie und Clyde. Ihm gefiel der Slogan: »Sie sind jung. Sie lieben sich. Sie rauben Banken aus.« In dem Film schlief er nicht ein. Stattdessen weinte er. Und als wir nach Hause gingen, war er unnatürlich still und sah mich an, als wollte er alles, was er fühlte, ohne Worte übertragen. Er hatte irgendetwas von uns in dem Film wiedererkannt, aber ich war nicht sicher, was. Ich dachte im Stillen, dass er ein ganzes Universum in sich trug, das ich erst noch kennenlernen musste.
    Am vierten November wurde Robert einundzwanzig. Ich schenkte ihm ein schweres silbernes ID-Armband, das ich bei einem Pfandleiher auf der Forty-second Street gefunden hatte. Darauf hatte ich Robert Patti blue star eingravieren lassen. Unser blauer Schicksalsstern.
    Wir verbrachten einen ruhigen Abend und sahen uns unsere Kunstbücher an. Zu meiner Sammlung gehörten de Kooning, Dubuffet, Diego Rivera, eine Pollock-Monografie und ein kleiner Stapel Art International. Robert besaß bei Brentano gekaufte, große Coffeetable-Books über tantrische Malerei, Michelangelo, Surrealismus und erotische Kunst. Das ergänzten wir noch um antiquarische Kataloge von John Graham,

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