Just Kids
Umschlag für mich da war. Ichhatte nicht gewusst, dass das Gehalt für die erste Woche einbehalten wurde, und musste mich für einen Moment unter Tränen in die Garderobe zurückziehen.
Als ich an meinen Arbeitsplatz zurückkam, fiel mir ein Typ auf, der sich dort herumdrückte und mich beobachtete. Er hatte einen Bart und trug ein Hemd mit Nadelstreifen zu einem dieser Jacketts mit Wildlederflicken an den Ellbogen. Mein Vorgesetzter machte uns miteinander bekannt. Der Mann schrieb Science-Fiction, und er wollte mich zum Abendessen einladen. Ich war zwar schon zwanzig, aber mir spukte immer noch die Warnung meiner Mutter im Kopf herum, niemals mit Fremden zu gehen. Aber bei der Aussicht auf ein Abendessen wurde ich schwach und nahm an. Ich hoffte, der Kerl würde in Ordnung sein, er war ja immerhin Schriftsteller, obwohl er mir eher wie ein Schauspieler vorkam, der einen Schriftsteller spielte.
Wir gingen zu Fuß zu einem Restaurant am Fuß des Empire State Building. Ich hatte in New York bisher nie in einem richtigen Restaurant gegessen. Ich versuchte, etwas zu bestellen, das nicht zu teuer war, und nahm Schwertfisch für 5,95 Dollar, das Billigste auf der Speisekarte. Ich sehe noch den Kellner vor mir, wie er den Teller mit einem Haufen Stampfkartoffeln und einer Scheibe zerkochtem Schwertfisch vor mich hinstellt. Obwohl ich kurz vorm Verhungern war, konnte ich das Essen kaum genießen. Ich war unruhig und hatte keine Ahnung, wie ich mit der Situation umgehen sollte, oder warum der Mann überhaupt mit mir essen wollte. Es kam mir so vor, als gäbe er eine Menge Geld für mich aus, und ich überlegte ängstlich, was er als Gegenleistung von mir erwarten würde.
Nach dem Essen gingen wir zu Fuß den ganzen Weg nach Downtown. Wir liefen nach Osten zum Tompkins Square Park und setzten uns auf eine Bank. Ich dachte mir die ganze Zeit Sätze aus, die mir die Flucht ermöglichen sollten, als er vorschlug, wir sollten noch auf einen Drink rauf in seine Wohnung gehen. Jetzt ist es so weit, dachte ich, das ist der kritische Moment, vor demmeine Mutter mich immer gewarnt hat. Ich sah mich verzweifelt um, unfähig, ihm zu antworten, als ich einen jungen Mann näher kommen sah. Es war, als hätte sich ein kleines Portal in die Zukunft geöffnet, und heraus trat der Junge aus Brooklyn, der die persische Halskette gekauft hatte, als wäre mein Teenager-Gebet erhört worden. Ich erkannte sofort seinen leicht o-beinigen Gang und seine zerwühlten Locken. Er trug Jeans und eine Schaffellweste. Um seinen Hals hingen Glasperlenketten, ein junger Hippie-Schäfer. Ich rannte zu ihm und packte ihn am Arm.
»Hallo, kennst du mich noch?«
»Natürlich«, lächelte er.
»Du musst mir helfen«, platzte ich heraus. »Kannst du bitte so tun, als wärst du mein Freund?«
»Na klar«, sagte er, als sei er von meinem plötzlichen Auftauchen keine Spur überrascht.
Ich zerrte ihn zu dem Science-Fiction-Typ. »Das ist mein Freund«, sagte ich keuchend. »Er hat mich schon überall gesucht. Er ist unheimlich sauer. Er will, dass ich jetzt mit nach Haus komme.« Der Typ sah uns beide fragend an.
»Lauf«, rief ich, und der Junge packte meine Hand, und wir rannten weg, quer durch den ganzen Park zur anderen Seite.
Atemlos ließen wir uns auf eine fremde Türschwelle sinken. »Danke, du hast mir das Leben gerettet«, sagte ich. Er quittierte die Mitteilung mit einem verwirrten Lächeln.
»Ich hab dir meinen Namen noch gar nicht verraten, ich heiße Patti.«
»Ich heiße Bob.«
»Bob«, sagte ich und sah ihn mir zum ersten Mal richtig an. »Irgendwie kommst du mir nicht wie ein Bob vor. Ist es dir recht, wenn ich Robert sage?«
Über der Avenue B war die Sonne untergegangen. Er nahm meine Hand, und wir durchwanderten das East Village. Er spendierte mir ein Egg Cream bei Gem Spa an der Ecke St. Mark’s Place und Second Avenue. Meistens redete nur ich. Er lächeltebloß und hörte zu. Ich erzählte ihm Geschichten aus meiner Kindheit, die ersten von vielen: von Stephanie, vom »Acker« und vom Square-Dance-Saal auf der anderen Straßenseite. Ich war überrascht, wie wohl und gelöst ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Später erzählte er mir, dass er auf Acid gewesen war.
Ich kannte LSD nur aus Collagen, einem Büchlein von Anaïs Nin. Von der blühenden Drogenkultur im Sommer ’67 hatte ich überhaupt nichts mitbekommen. Ich hatte eine romantische Vorstellung von Drogen, betrachtete sie als heilig, Poeten, Jazzmusikern und
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