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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Sie stellten Leute für das Feiertagsgeschäft ein, und ich bekam einen befristeten Job an der Kasse. Es war Weihnachtszeit, aber hinter den Kulissen des berühmten Spielzeuggeschäfts war vom Geist der Weihnacht nicht viel zu spüren. Die Bezahlung war erbärmlich, die Arbeitszeit sehr lang und die Atmosphäre bedrückend. Die Angestellten durften nicht miteinander reden und auch nicht gemeinsam Kaffeepause machen. Wir fanden trotzdem ein paar Momente, in denen wir uns heimlich bei der Krippe trafen, die sie auf einem Strohpodest aufgebaut hatten. Dort rettete ich auch ein kleines Krippenlamm aus einem Mülleimer. Robert versprach mir, irgendwas damit anzufangen.
    Er liebte die Boxes von Joseph Cornell, und verarbeitete oft irgendwelche unbedeutenden Fundstücke, bunte Kordeln, Papierspitze, weggeworfene Rosenkränze, allerlei Krimskrams und Perlen zu einem visuellen Gedicht. Er blieb bis tief in die Nacht wach und nähte, schnitt oder klebte, und dann fügte er noch einige Gouache-Tupfer hinzu. Wenn ich wach wurde, stand dann eine fertige Box für mich da, wie ein Valentinsgeschenk. Robert baute eine hölzerne Krippe für das kleine Lamm. Er malte sie weiß an, mit einem Herz Jesu, und wir fügten noch sakrale Zahlen hinzu, die sich wie Weinreben ineinander rankten. Sie war von spiritueller Schönheit und diente uns als Weihnachtsbaum. Wir legten unsere Geschenke darunter.
    Wir mussten an Heiligabend sehr lange arbeiten, und nahmen dann von Port Authority den Bus nach New Jersey. Robert war extrem nervös bei dem Gedanken, meine Eltern kennenzulernen, weil er sich seinen eigenen so sehr entfremdet hatte. Mein Vater holte uns am Busbahnhof ab. Robert schenkte meinem Bruder Todd eine seiner Zeichnungen, ein Vogel, der aus einer Blume entsprang. Wir hatten handgemachte Karten und Bücher für meine jüngste Schwester Kimberly dabei.
    Um seine Nerven zu beruhigen, beschloss Robert, Acid zu nehmen. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, irgendwelche Drogen zu nehmen, wenn ich mit meinen Eltern zusammen war, aber für Robert schien es selbstverständlich zu sein. Meine ganze Familie schloss ihn ins Herz und bemerkte nichts Ungewöhnliches, abgesehen von seinem unentwegten Lächeln. Im Laufe des Abends sah Robert sich die umfangreiche Nippes-Sammlung meiner Mutter an, zum größten Teil Kühe aller Art. Besonders begeistert war er von einer marmorierten Konfektschale, deren Deckel eine purpurne Kuh zierte. Vielleicht waren es die Wirbel der Glasur, jedenfalls konnte er in seinem LSD-induzierten Zustand einfach nicht die Augen von ihr abwenden.
    Am Abend des ersten Weihnachtstags verabschiedeten wir uns, und meine Mutter gab Robert eine Einkaufstüte mit ihren üblichenGeschenken für mich: Kunstbücher und Biografien. »Für dich ist auch was drin«, sagte sie augenzwinkernd zu Robert. Als wir im Bus nach Port Authority saßen, schaute Robert in die Tüte und fand die purpurne Kuh-Konfektschale, eingewickelt in ein kariertes Küchenhandtuch. Er war entzückt davon – so sehr, dass man sie Jahre später, nach seinem Tod, zwischen seinen wertvollsten italienischen Vasen fand.
    Zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag machte Robert mir ein Tamburin, auf dessen Trommelfell er astrologische Zeichen tätowierte, den Rahmen verzierte er mit bunten Bändern. Er legte Phantasmagoria in Two von Robert Buckley auf, dann kniete er nieder und gab mir ein kleines Buch über das Tarot, das er in schwarzer Seide neu gebunden hatte. In das Buch schrieb er ein paar Gedichtzeilen, in denen er uns als Zigeunerin und Narr beschrieb, der eine Schweigen bringend, der andere aufmerksam dem Schweigen lauschend. In den klingenden Wirbeln unseres Lebens wurden diese Rollen viele Male gewechselt.
    Am nächsten Tag war Silvester, unser erstes miteinander. Wir fassten gute Vorsätze. Robert gelobte, dass er sich um ein Studentendarlehen bemühen und sein Studium am Pratt wieder aufnehmen würde, nicht, um, wie sein Vater es wollte, Werbegrafiker zu werden, sondern um seine Energien ganz auf die Kunst zu konzentrieren. Er schrieb mir einen Zettel, auf dem stand, dass wir zusammen Kunst machen und damit Erfolg haben würden, mit oder ohne den Rest der Welt.
    Ich schwor mir im Stillen, ihm zu helfen, sein Ziel zu erreichen, indem ich mich um die praktischen Belange kümmerte. Ich hatte nach den Feiertagen in dem Spielwarenhaus aufgehört und war für kurze Zeit arbeitslos. Wir waren dadurch etwas klamm, aber ich war nicht bereit, mich freiwillig hinter

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