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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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sicheren Zufluchtsort zu haben, aber ich hatte dennoch so etwas wie einen Nervenzusammenbruch, war physisch und emotional überlastet. Obwohl ich meine Entscheidung, mein Kind zur Adoption freizugeben, nie infrage stellte, musste ich erfahren, dass es nicht so einfach war, ein Leben in die Welt zu setzen und dann zurückzulassen. Eine Zeit lang war ich niedergeschlagen und verzweifelt. Ich heulte so viel, dass Robert mich zärtlich »Soakie« – Triefnase – nannte.
    Robert hatte unendliche Geduld mit meiner scheinbar unerklärlichen Melancholie. Ich hatte eine liebevolle Familie und hätte nach Hause zurückkehren können. Sie hätten es verstanden, doch ich wollte nicht mit hängendem Kopf angekrochen kommen. Sie hatten es selbst nicht leicht, und ich hatte jetzt einen Gefährten, auf den ich mich verlassen konnte. Ich hatte Robert alles erzählt, es wäre ohnehin unmöglich gewesen, meine Geschichte zu verheimlichen. Ich war so schmalhüftig, dass mir dieSchwangerschaft buchstäblich die Haut überm Bauch aufgerissen hatte. Unsere erste Intimität legte die frisch-roten Narben bloß, die im Zickzack über meinen Unterleib liefen. Ganz langsam überwand ich durch seine Unterstützung meine tief sitzende Unsicherheit.
    Als wir endlich genug Geld beisammen hatten, suchte Robert eine Bleibe für uns. Er fand eine Wohnung in einem dreistöckigen Backsteinhaus in einer von Bäumen gesäumten Straße gleich um die Ecke von der Station der Myrtle El Linie, auch das Pratt Institute konnte man bequem zu Fuß erreichen. Uns gehörte der gesamte erste Stock, mit Fenstern nach Osten und Westen, nur der offensiv versiffte Zustand war etwas, das ich so noch nicht erlebt hatte. Die Wände waren mit Blut und psychotischem Gekritzel beschmiert, der Ofen quoll über vor weggeworfenen Spritzen, im Kühlschrank blühte der Schimmel. Robert machte einen Deal mit dem Vermieter, die Wohnung selbst sauber zu machen und anzustreichen, wenn wir dafür nur eine Monatsmiete Kaution zahlen müssten statt der geforderten zwei. Die Miete betrug achtzig Dollar im Monat. Wir zahlten einhundertsechzig Dollar, um in die Hall Street 160 einzuziehen. Die Übereinstimmung der Zahlen fassten wir als gutes Omen auf.
    Wir lebten in einem Sträßchen mit niedrigen, efeuüberwucherten Garagen, die früher einmal Stallungen gewesen waren. Zum Diner, zur Telefonzelle und zu Jake’s Malerbedarf am Anfang des St. James Place waren es nur ein paar Schritte.
    Das Treppenhaus, das zu uns in den ersten Stock führte, war dunkel und schmal, mit einer in die Mauer geschlagenen bogenförmigen Nische, aber hinter unserer Wohnungstür lag eine kleine, sonnige Küche. Vor dem Fenster über der Spüle wuchs ein riesiger weißer Maulbeerbaum. Das Schlafzimmer mit seiner reich verzierten Stuckdecke aus der Jahrhundertwende ging nach vorne hinaus.
    Robert hatte mir versichert, dass er aus der Wohnung ein schönes Zuhause machen würde, und leistete ganze Arbeit, wie versprochen. Als Erstes schrubbte er den verkrusteten Herd mitStahlwolle. Er wachste die Böden, putzte die Fenster und weißte die Wände.
    Unsere wenigen Habseligkeiten hatten wir in der Mitte unseres zukünftigen Schlafzimmers aufgestapelt. Wie schliefen in unseren Mänteln. Wenn Sperrmüll gesammelt wurde, durchkämmten wir die Straßen und fanden wunderbarerweise alles, was wir brauchten. Eine ausrangierte Matratze im Schein der Laterne, ein kleines Bücherregal, Lampen, die sich reparieren ließen, Steingutschüsseln, Jesus- und Madonnenbilder in reich verzierten, aus dem Leim gehenden Bilderrahmen und eine fadenscheinige Perserbrücke für mein Eckchen unserer Welt.
    Ich schrubbte die Matratze mit Waschsoda. Robert verkabelte die Lampen neu und fertigte Pergamentschirme an, die selbst entworfene Muster zierten. Er hatte sehr geschickte Hände, noch ganz der Junge, der Schmuck für seine Mutter gebastelt hatte. Er brachte etliche Tage damit zu, einen Perlenvorhang neu aufzuziehen, den er in den Eingang zu unserem Schlafzimmer hängte. Ich war zuerst etwas skeptisch wegen des Vorhangs. So ein Ding hatte ich noch nie gesehen, aber es harmonierte dann doch mit meinen eigenen Gypsy-Elementen.
    Ich fuhr noch einmal nach New Jersey, um meine Bücher und Klamotten zu holen. Während ich weg war, hängte Robert seine Zeichnungen auf und drapierte die Wände mit indianischen Stoffen. Auf dem Kaminsims hatte er Devotionalien, Kerzen und Erinnerungsgegenstände vom Tag der Toten arrangiert wie sakrale Objekte auf

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