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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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indianischen Ritualen vorbehalten. Robert erschien mir in keiner Weise verändert oder sonderbar, jedenfalls nicht so, wie ich es mir ausgemalt hätte. Er hatte eine bezaubernde Art, sanft und schelmisch, schüchtern und fürsorglich. Wir liefen bis zwei Uhr morgens herum und gestanden uns dann endlich, beinahe im Chor, dass keiner von uns wusste, wohin. Wir mussten beide lachen. Aber es war spät, und wir waren müde.
    »Ich glaube, ich weiß was, wo wir übernachten können«, sagte er. Sein ehemaliger Mitbewohner war nicht in der Stadt. »Ich weiß, wo er seinen Schlüssel versteckt; ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hätte.«
    Wir nahmen die U-Bahn nach Brooklyn. Sein Freund hatte eine kleine Wohnung auf der Waverly Avenue, in der Nähe des Pratt-Campus. Wir gingen in ein Gässchen, wo er tatsächlich den Schlüssel unter einem losen Backstein fand und uns aufschloss.
    Als wir drin waren, wurden wir beide plötzlich verlegen. Nicht so sehr, weil wir miteinander allein waren, sondern weil es eine fremde Wohnung war. Robert machte sich sofort daran, es mir bequem zu machen, und fragte mich dann, ungeachtet der späten Stunde, ob ich mir ein paar von seinen Arbeiten ansehen wolle, die er in einem Hinterzimmer eingelagert hatte.
    Robert breitete sie auf dem Boden aus, damit ich sie mir ansehen konnte. Es waren Zeichnungen, Radierungen, und er rollte auch einige Malereien aus, die mich an Richard Pousette-Dart und Michaux erinnerten. Ineinander verflochtene Wörter und Schriftzeichen verstrahlten tausenderlei Energien. Energiefelder, aus Wortschichten gebaut. Malereien und Zeichnungen, die unmittelbar aus dem Unbewussten aufzusteigen schienen.

    Ich sah verschiedene Ebenen, in denen sich die Worte EGO LIEBE GOTT überlagerten und sich mit seinem eigenen Namen verflochten; es sah aus, als waberten sie auf dem flachen Grund. Ich starrte sie an und konnte nicht anders, als ihm von den Nächten meiner Kindheit zu erzählen, in denen ich runde Muster an der Decke strahlen gesehen hatte.
    Er schlug ein Buch mit tantrischer Kunst auf.
    »So wie das hier?«, fragte er.
    »Ja.«
    Ich fand darin zu meinem Erstaunen die himmlischen Strahlenkränze meiner Kindheit wieder. Ein Mandala.
    Besonders berührte mich eine Zeichnung, die er am Memorial Day gemacht hatte. Ich hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Außerdem sprang mir das Datum ins Auge: der Gedenktag der Jeanne d’Arc. Am selben Tag hatte ich mir vor ihrer Statue gelobt, etwas aus mir zu machen.
    Ich erzählte ihm davon, und er antwortete, die Zeichnung symbolisiere seine eigene Hingabe an die Kunst und sei am selben Tag entstanden. Ohne zu zögern gab er sie mir, und ich begriff, dass wir in dieser kurzen Zeitspanne beide unsere Einsamkeit aufgegeben und sie durch Vertrauen ersetzt hatten.
    Wir blätterten in Büchern über Dada und Surrealismus und ließen die Nacht in die Betrachtung von Michelangelos Sklaven versunken ausklingen. Wortlos sogen wir die Gedanken des anderen auf und schliefen bei Tagesanbruch eng umschlungen ein. Als wir aufwachten, begrüßte mich sein schiefes Lächeln, und ich wusste, er war mein Ritter.
    Wir blieben zusammen, als sei es die normalste Sache der Welt; wir wichen einander nicht von der Seite, außer um zur Arbeit zu gehen. Es gab keine Absprachen; wir verstanden uns auch so.
    In den folgenden Wochen nutzten wir die Großzügigkeit vonRoberts Freunden aus, die uns bei sich unterbrachten, besonders Patrick und Margaret Kennedy, in deren Wohnung auf der Waverly Avenue wir unsere erste Nacht verbracht hatten. Wir hatten ein Dachzimmer mit einer Matratze, an den Wänden Roberts Zeichnungen, seine Bilder zusammengerollt in einer Ecke, und ich mit nichts als meinem karierten Koffer. Ich bin sicher, es war eine nicht unwesentliche Belastung für das Paar, uns aufzunehmen, weil wir praktisch kein Geld hatten und ich schon ein bisschen seltsam war. Abends durften wir glücklicherweise mit ihnen zusammen essen. Robert und ich schmissen unser Geld zusammen und sparten jeden Cent für eine eigene Wohnung. Ich machte bei Brentano Überstunden und ließ den Lunch ausfallen. Ich freundete mich mit einer Kollegin an, Frances Finley. Sie war erfreulich exzentrisch und diskret. Sie erkannte meine Misere und ließ immer Tupperdosen mit hausgemachter Suppe für mich auf dem Tisch in der Angestelltengarderobe stehen. Die kleine Geste bestärkte mich und besiegelte eine dauerhafte Freundschaft.
    Es war zwar eine Erleichterung, plötzlich einen

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