Just Kids
wie Isadora Duncan, eine atonale Version von Wild Is the Wind auf den Lippen.
Er erzählte mir die Geschichten seiner Nachbarn, Zimmer für Zimmer, und was sie für Alkohol und Drogen aufgegeben hatten. Ich hatte noch nie so viel Elend und zerstörte Hoffnungen im Kollektiv gesehen, verlorene Seelen, die sich das Leben versaut hatten. Er war ihr heimlicher Herrscher, wie er in süßer Melancholie der eigenen Karriere nachtrauerte und mit seiner Schleppe aus blassem Chiffon über den Flur tanzte.
Während ich bei Robert saß und mir überlegte, was aus uns werden sollte, bereute ich es beinahe, dass wir uns für die Kunst entschieden hatten. Die schweren Mappen, die an der Wand lehnten, meine rot mit grauen Bändern, seine schwarz mit schwarzen Bändern, erschienen mir wie ein Joch. Sogar in Paris gab es Momente, in denen ich am liebsten den ganzen Krempel in einer Seitenstraße stehen gelassen hätte, um ihn los zu sein. Aber als ich dieBänder aufknotete und mir unsere Arbeiten ansah, fühlte ich, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Wir brauchten nur ein bisschen Glück.
In der Nacht schrie Robert, der sonst so stoisch war, vor Schmerzen. In seinem Zahnfleisch hatte sich ein Abszess gebildet, sein Kopf war hochrot, und das Bettlaken war von seinem Schweiß durchnässt. Ich wandte mich an den Morphiumengel. »Hast du nicht irgendwas für ihn?«, bettelte ich. »Irgendwas gegen seine Schmerzen?« Ich versuchte, durch den Opiatschleier zu ihm vorzustoßen. Er schenkte mir einen lichten Moment und kam mit in unser Zimmer. Robert delirierte im Fieber. Ich glaubte, er würde sterben.
»Du musst mit ihm zum Arzt«, sagte der Morphiumengel. »Ihr müsst hier raus, ihr gehört nicht hierhin.« Ich sah in sein Gesicht. Alles, was er erlebt hatte, stand in diesen toten blauen Augen. Für einen Moment leuchteten sie auf. Nicht für ihn selbst, aber für uns.
Wir hatten nicht genug Geld, um die Rechnung zu bezahlen. Beim Morgengrauen weckte ich Robert, half ihm, sich anzuziehen, und schaffte ihn die Feuerleiter runter. Dann ließ ich ihn auf dem Bürgersteig stehen, um noch mal nach oben zu steigen und unsere Mappen zu holen. Unseren gesamten irdischen Besitz.
Als ich nach oben schaute, sah ich, dass einige der dort lebenden Jammergestalten mit Taschentüchern winkten. Sie hingen aus den Fenstern und riefen den Kindern, die ihrer Fegefeuerexistenz entflohen, einen Abschiedsgruß nach.
Ich hielt ein Taxi an. Robert rutschte hinein, anschließend die Mappen. Ehe ich ins Taxi verschwand, warf ich noch einen letzten Blick auf die schäbige Grandezza der Szenerie – die winkenden Hände, das unheilverkündende Neonschild des Allerton und der singende Morphiumengel auf der Feuertreppe.
Robert ließ seinen Kopf auf meine Schulter sinken. Ich spürte, dass ein Teil der Anspannung aus seinem Körper wich. »Es wird schon gut gehen«, sagte ich. »Ich kriege meinen Job wieder, und du wirst wieder gesund.«
»Wir schaffen es, Patti«, sagte er.
Wir versprachen uns, dass wir einander nie wieder alleinlassen würden, solange wir nicht sicher waren, dass wir beide auf eigenen Beinen stehen konnten. Und diesen Schwur haben wir nie gebrochen, trotz allem, was uns noch erwartete.
»Chelsea Hotel«, sagte ich dem Fahrer, während ich in meinen Taschen nach Kleingeld kramte und hoffte, dass ich ihn bezahlen konnte.
[Menü]
Ich bin im Mike-Hammer-Modus, qualme Kools und lese billige Krimis, während ich in der Lobby sitze und auf William Burroughs warte. Er kommt rein, todschick in dunklem Gabardinemantel, grauem Anzug und Krawatte. Ich bin seit ein paar Stunden auf meinem Posten und kritzele Gedichte. Er kommt leicht angetrunken und zerknittert aus dem El Quixote gestolpert. Ich rücke ihm die Krawatte gerade und winke ein Taxi für ihn heran. Dazu bedarf es zwischen uns keiner Worte mehr, das machen wir immer so.
Zwischendurch beobachte ich den Betrieb. Ich habe immer ein Auge auf das Kommen und Gehen in der Lobby mit ihrer schlechten Kunst an den Wänden. Großformatiges lautes Zeug, das Stanley Bard statt der Miete aufgedrückt worden ist. Das Hotel ist eine dynamische, desperate Anlaufstelle für zahllose begabte Kinder aus allen sozialen Schichten, die alle irgendwas zu verkaufen haben. Die üblichen Jungs mit Gitarrenkoffern und völlig weggetretene Schönheiten in viktorianischen Kleidern. Junkie-Poeten, Bühnenautoren, bankrotte Filmemacher und französische Schauspielerinnen. Jeder, der hier durchmarschiert, ist
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