Just Kids
Es war auch ein Bild von mir dabei, mit meinem Strohhut in einem Feld orangefarbener Rechtecke.
Ich ordnete seine Utensilien. Seine Buntstifte, Spitzer, Überreste von Schwulenmagazinen, goldenen Sternen, Gaze. Dann legte ich mich neben ihn und überlegte meine nächsten Schritte.
Kurz vor Morgengrauen wurden wir von mehreren Schüssen und Schreien geweckt. Die Polizei wies uns an, unsere Türen abzuschließen und für die nächsten Stunden nicht aus dem Haus zu gehen. Ein junger Mann war vor unserer Haustür ermordet worden. Robert war entsetzt, dass wir in der Nacht, in der ich zurückkam, einer solchen Gefahr ausgesetzt waren.
Als ich am Morgen die Tür öffnete und die Kreideumrisse des Opfers auf dem Boden sah, war ich geschockt. »Hier können wir nicht bleiben«, sagte er. Er machte sich Sorgen um unsere Sicherheit. Wir ließen fast alles zurück – meinen Seesack mit den Paris-Erinnerungen, seine Materialien und seine Kleidung – und schleppten uns, nur mit den Mappen, unserem kostbarsten Besitz, durch die halbe Stadt zum Hotel Allerton auf der Eighth Avenue, das für seine sehr billigen Zimmer bekannt war.
Die folgenden Tage waren der Tiefpunkt unseres gemeinsamen Lebens. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir es zum Allerton geschafft haben. Es war ein fürchterliches Loch, dunkel undverwahrlost, mit staubigen Fenstern an einer lauten Straße. Robert gab mir zwanzig Dollar, die er mit Klaviereschleppen verdient hatte; das meiste davon ging für die Anzahlung des Zimmers drauf. Ich kaufte einen Karton Milch, Brot und Erdnussbutter, aber er konnte nicht essen. Ich saß bei ihm und sah zu, wie er auf dem Eisenbett schwitzte und zitterte. Die Sprungfedern der uralten Matratze stachen durch das fleckige Betttuch. Alles roch nach Pisse und Rattengift, die Tapete pellte sich wie abgestorbene Haut nach einem Sonnenbrand. Ein korrodiertes Ausgussbecken, an dem es kein fließendes Wasser gab, nur gelegentliche rostige Tropfen, deren Plopp-plopp man in der Nacht hörte.
Obwohl er so krank war, wollte er mit mir schlafen, und vielleicht hat unsere Vereinigung ihm gutgetan, weil er dabei alles ausschwitzte. Am Morgen ging er zur Toilette im Flur und kam sichtlich bestürzt zurück. Er hatte bei sich Symptome von Tripper festgestellt. Seine sofort einsetzenden Schuldgefühle und seine Angst, er könnte mich angesteckt haben, verschlimmerten seine Beunruhigung über unsere Lebenssituation.
Glücklicherweise schlief er den ganzen Nachmittag über, während ich die Flure abklapperte. Im Allerton lebten hauptsächlich gestrandete Existenzen und Junkies. Billige Hotels waren mir nichts Neues. Meine Schwester und ich hatten am Pigalle ein Zimmerchen im fünften Stock gehabt, kein Aufzug, aber es war sauber gewesen und geradezu fröhlich mit seinem romantischen Blick über die Dächer von Paris. Hier gab es nichts Romantisches, nur halb nackte Typen, die sich abmühten, in ihren entzündeten, mit Geschwüren überzogenen Armen und Beinen eine Vene zu finden. Alle hatten die Türen offen stehen, weil es so heiß war, und ich musste wegsehen, während ich zwischen der Toilette und unserem Zimmer hin- und herpendelte, um Tücher für Roberts heiße Stirn anzufeuchten. Ich kam mir vor wie ein Kind im Kino, das versucht, sich vor der Duschszene aus Psycho zu verstecken. Diese Vorstellung war das Einzige, was Robert zum Lachen brachte.
Sein klumpiges Kopfkissen wimmelte von Läusen, und sie nisteten sich in seinen feuchten, verfilzten Locken ein. Läuse hatte ich in Paris genug gesehen, aber zumindest verbanden sie mich mit der Welt von Rimbaud. Das schmuddelige, klumpige Kissen war ungleich trostloser.
Ich ging gerade etwas Wasser für Robert holen, als eine Stimme über den Flur nach mir rief. Schwer zu sagen, ob es eine männliche oder eine weibliche war. Als ich ihr nachging, sah ich eine verwüstete Schönheit, in einen ramponierten Chiffonschal gehüllt, auf einer Bettkante sitzen. Bei ihm fühlte ich mich sicher, er erzählte mir seine Geschichte. Er war Balletttänzer gewesen, aber jetzt war er ein Morphiumsüchtiger, eine Mischung aus Nurejew und Artaud. Seine Beine waren noch immer trainiert, aber seine Zähne waren ihm beinahe alle ausgefallen. Wie berückend schön er gewesen sein musste mit seinem goldenen Haar, den geraden Schultern und den hohen Wangenknochen. Ich saß draußen vor seiner Tür und war die einzige Zuschauerin seiner traumartigen Vorstellung: er in fließendem Chiffon über den Flur schwebend
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