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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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irgendwer, auch wenn er draußen ein Niemand ist.
    Der Aufzug lässt sich Zeit. Ich steige im sechsten Stock aus, um nachzusehen, ob Harry Smith da ist. Ich lege die Hand auf den Türknauf, vernehme aber nichts als Stille. Die gelb gehaltenen Wände verbreiten eine Anstaltsatmosphäre, irgendwas zwischen Knast und Mittelschule. Für den Weg zurück in unser Zimmer nehme ich die Treppe. Ich geh schnell auf dem Klo im Flur pissen, das wir mit unbekannten Hausgenossen teilen. Ich schließe unsere Tür auf. Keine Spur von Robert, bis auf einen Zettel am Spiegel. Bin auf der großen Forty-second Street. Liebe dich. Blue. Wie ich sehe, hat er sein Zeug aufgeräumt. Schwulenpornos, ordentlich gestapelt. Der feine Maschendraht ist zusammengerollt, die Spraydosen mit Farbe stehen in einer Reihe unter der Spüle.
    Ich stelle die Kochplatte an. Hole Wasser. Man muss es eine Weile laufen lassen, weil es anfangs braun rauskommt. Bloß Mineralien und Rost, wenn man Harry glauben kann. Meine Sachen sind in der unteren Schublade. Tarotkarten, Seidenbänder, ein Glas Nescafé und meine Tasse – ein Überbleibsel aus Kindheitstagen mit dem Bild von Uncle Wiggly, dem Gentleman-Kaninchen. Ich ziehe meine Remington unter dem Bett hervor, spanne das Farbband und lege ein jungfräuliches Blatt Papier ein. Es gibt viel zu berichten.

    ROBERT SAß IN EINEM SESSEL UNTER EINEM SCHWARZ weißen Larry Rivers. Er war furchtbar blass. Ich kniete mich neben ihn und hielt seine Hand. Der Morphiumengel hatte gesagt, im Chelsea Hotel könnte man mit etwas Glück im Tausch gegen Kunst ein Zimmer bekommen. Ich hatte vor, unsere Arbeiten anzubieten. Ich fand die Zeichnungen, die ich in Paris gemacht hatte, wirklich überzeugend, und Roberts Sachen waren zweifellos um Längen besser als alles, was in der Lobby hing. Die erste Hürde, die ich nehmen musste, war Stanley Bard, der Hotelmanager.
    Ich schlenderte nonchalant in sein Büro und wollte unsere kostbaren Stücke anpreisen. Er scheuchte mich sofort wieder raus, um ein scheinbar endloses Telefonat weiterzuführen. Ich ging also wieder, setzte mich neben Robert auf den Fußboden, und überlegte stumm, wie unsere Chancen wohl standen.
    Plötzlich materialisierte sich Harry Smith vor uns, als wäre er direkt aus der Wand getreten. Er hatte eine wilde silberfarbene Mähne und einen verfilzten Bart und guckte mich mit glänzenden, neugierigen Augen an, die hinter seiner Buddy-Holly-Brille noch größer wirkten. Er ratterte angeregt Fragen herunter, ohnemeine Antworten überhaupt abzuwarten. »Wer seid ihr habt ihr Geld seid ihr Zwillinge warum trägst du eine Schleife um dein Handgelenk?«
    Er wartete auf seine Freundin Peggy Biderman, weil er hoffte, sie würde ihn zum Essen einladen. Obwohl er eigene Sorgen hatte, nahm er auch an unseren regen Anteil und wollte sich sofort um Robert kümmern, der kaum noch aufrecht sitzen konnte.
    Er stand leicht bucklig in seiner schäbigen Tweedjacke, seinen Chinos und Desert Boots vor uns, den Kopf zur Seite gelegt wie ein ausgesprochen kluger Hund. Obwohl er höchstens fünfundvierzig war, machte er den Eindruck eines alten Mannes mit einer grenzenlosen jugendlichen Begeisterungsfähigkeit. Harry war ein Begriff, weil er die Anthology of American Folk Music zusammengestellt hatte, die für so viele, vom obskursten Gitarristen bis zu Bob Dylan, ein maßgeblicher Einfluss war. Robert ging es so schlecht, dass er nicht sprechen konnte, darum unterhielten Harry und ich uns über Musik aus den Appalachen, während ich auf meine Audienz bei Mr Bard wartete. Harry erwähnte, dass er gerade einen von Bertolt Brecht inspirierten Film drehe, und ich trug ihm eine Kostprobe aus der Seeräuber-Jenny vor. Das besiegelte unsere Freundschaft, auch wenn er ein klein wenig enttäuscht war, dass wir kein Geld hatten. Er folgte mir durch die Lobby und fragte wiederholt: »Bist du sicher, dass ihr nicht reich seid?«
    »Wir Smiths sind niemals reich«, erklärte ich. Er wirkte betroffen.
    »Heißt du auch ganz bestimmt Smith?«
    »Ja«, sagte ich, »und noch sicherer bin ich, dass wir verwandt sind.«
    Dann wurden wir aufgefordert, erneut in Mr Bards Büro zu gehen. Ich fing mit dem Positiven an. Ich erklärte ihm, dass ich in Kürze einen Vorschuss von meinem Arbeitgeber bekäme, ihm aber auch die Gelegenheit bieten wolle, in den Besitz guter Kunst zu kommen, die weitaus mehr wert wäre als die Miete. Ich sangein Loblied auf Robert und bot unsere Mappen als Sicherheit an. Bard war

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