Just Kids
plauderten wir mit Johnny und Steve Paul. Johnny bewunderte Roberts Halsketten und wollte eine kaufen; sie sprachen auch davon, dass Robert ihm ein schwarzes Netzcape entwerfen sollte.
Als ich dort saß, merkte ich, dass ich körperlich irgendwie instabil war, formbar, als wäre ich aus Lehm. Niemand schien irgendeine Veränderung an mir festzustellen. Johnnys herabhängende Haare erschienen mir wie zwei lange weiße Schlappohren. StevePaul in seinem blauen Samt hatte sich in einen Kissenberg sinken lassen und rauchte einen Joint nach dem anderen, ganz im Gegensatz zu Matthew, dem Hektiker, der ständig rein- und rausrannte. Ich fühlte mich so von Grund auf verändert, dass ich mich in unsere alte Flurtoilette im zehnten Stock flüchtete und einschloss.
Ich war nicht ganz sicher, was mit mir vorging. Mein Zustand ähnelte am ehesten der »Iss mich, trink mich«-Szene aus Alice im Wunderland. Ich versuchte, mir an ihrer gefassten, aber neugierigen Reaktion auf ihre eigenen psychedelischen Heimsuchungen ein Beispiel zu nehmen. Ich sagte mir, dass mir irgendwer ein Halluzinogen verabreicht haben musste. Ich hatte noch keinerlei Drogen genommen, und alles, was ich darüber wusste, hatte ich mir bei Robert abgeschaut und aus der Lektüre der Drogentexte von Gautier, Michaux und Thomas de Quincey gewonnen. Ich kauerte mich in eine Ecke und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte jedenfalls nicht, dass mich irgendjemand sah, wie ich mal größer und mal kleiner wurde, auch wenn es nur in meinem Kopf stattfand.
Robert, der wahrscheinlich selber high war, suchte das Hotel nach mir ab, bis er mich schließlich fand. Er setzte sich draußen vor die Tür, redete mir zu und half mir, wieder zu mir zu kommen.
Schließlich schloss ich die Tür auf. Wir machten einen Spaziergang und zogen uns dann in die Sicherheit unseres Zimmers zurück. Am nächsten Tag blieben wir im Bett. Als ich schließlich aufstand, kleidete ich mich dramatisch mit Sonnenbrille und Regenmantel. Robert war ausgesprochen einfühlsam und zog mich nicht auf, nicht einmal wegen des Regenmantels.
Wir verlebten einen wunderbaren Tag, der zu einer ungewöhnlich leidenschaftlichen Nacht aufblühte. Glücklich schrieb ich etwas über diese Nacht in mein Tagebuch und malte wie ein Teenager ein Herzchen daneben.
Es ist schwer zu vermitteln, in welch rasendem Tempo sich unser Leben in den folgenden Monaten veränderte. Wir waren uns nie näher gewesen, aber Roberts Geldsorgen warfen bald einen Schatten auf unser Glück.
Er fand einfach keinen Job. Er befürchtete, dass wir bald die beiden Räume nicht mehr bezahlen könnten. Er klapperte beharrlich alle Galerien ab und kam für gewöhnlich frustriert und demoralisiert zurück. »Die sehen sich die Sachen nicht mal richtig an«, sagte er. »Am Schluss versuchen sie dann, mich anzubaggern. Ich arbeite lieber auf dem Bau, als dass ich mit den Typen schlafe.«
Er ging zu einer Stellenvermittlung, um irgendwo einen Teilzeitjob zu kriegen, aber nichts kam dabei herum. Auch wenn er gelegentlich eine Halskette verkaufte, ging es mit dem Einstieg ins Modegeschäft doch eher schleppend voran. Das Thema Geld und die Tatsache, dass es an mir hängen blieb, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, deprimierten Robert immer mehr. Die Sorge über unsere finanzielle Lage trug dazu bei, dass er überlegte, wieder anschaffen zu gehen.
Bei seinen früheren Ausflügen ins Hustler-Leben war Robert vor allem von Neugier und von einer gewissen Asphalt-Cowboy -Romantik getrieben gewesen, das Anschaffen auf der Forty-second Street war ihm allerdings zu heftig. Nun wollte er auf Joe-Dallesandro-Pflaster ausweichen, zur East Side in die Nähe von Bloomingdale’s, wo es sicherer war.
Ich beschwor ihn, es zu lassen, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Selbst meine Tränen hielten ihn nicht zurück, so saß ich also da und sah zu, wie er sich für die vor ihm liegende Nacht fertig machte. Ich stellte mir ihn, das Gesicht leicht gerötet vor Nervosität, an einer Straßenecke vor, wie er sich Fremden anbot, um das Geld für uns zu verdienen.
»Pass auf dich auf«, war alles, was ich sagen konnte.
»Keine Sorge. Ich liebe dich. Wünsch mir Glück.«
Wer kann in das Herz der Jugend sehen, außer der Jugend selbst?
Ich wachte auf, und er war fort. Auf dem Tisch lag ein Zettel für mich. »Konnte nicht schlafen«, stand da, »warte auf mich.« Ich räumte auf und schrieb gerade einen Brief an meine Schwester, als er in heller
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