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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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gesagt hätte.
    An Heiligabend schneite es. Wir gingen zum Times Square, um uns die weiße Reklametafel mit den Worten WAR IS OVER! If you want it. Happy Christmas from John and Yoko anzusehen. Sie hing über dem Bücherstand, an dem Robert die meisten seiner Sexhefte kaufte, zwischen Child’s und Benedict’s, zwei Diners, die die ganze Nacht aufhatten.
    Wir schauten nach oben und waren berührt von der schlichten Menschlichkeit dieser New Yorker Straßenszene. Robert nahm meine Hand, und ich blickte ihm in die Augen, während die Schneeflocken um uns herumwirbelten. Er kniff die Augen zusammen und stellte mit Genugtuung fest, dass Künstler sich die Forty-second Street eroberten. Für mich war die Message das Wichtigste, für Robert das Medium.
    Mit frischem Schwung gingen wir zurück in die Twenty-third Street, um uns unser neues Atelier anzusehen. Die Halsketten hingen an Haken, und Robert hatte einige unserer Bilder an die Wände gehängt. Wir standen am Fenster und betrachteten über die Neonreklame der Oasis Bar mit ihrer verschnörkelten Palme hinweg den fallenden Schnee. »Da«, sagte Robert, »es schneit in der Wüste.« Ich musste an eine Szene aus Howard Hawks’ Film Scarface denken, in der Paul Muni und sein Mädchen auf ein Neonschild mit der Aufschrift The World Is Yours schauen. Robert drückte meine Hand.
    Die Sechzigerjahre gingen zu Ende. Robert und ich feierten unsere Geburtstage. Robert wurde dreiundzwanzig. Anschließend wurde ich dreiundzwanzig. Die perfekte Primzahl. Robert machte mir einen Krawattenhalter mit dem Bild der Jungfrau Maria. Ich schenkte ihm sieben silberne Totenschädel an einer Lederschnur. Er legte sich die Totenschädel um, ich mir einen Binder. Wir fühlten uns bereit für die Siebziger.
    »Jetzt kommt unser Jahrzehnt«, sagte Robert.

    Viva rauschte mit der Unnahbarkeit einer Garbo in die Lobby, in der Hoffnung, Mr Bard so einzuschüchtern, dass er sie nicht auf die ausstehende Miete ansprach. Die Filmemacherin Shirley Clarke und die Fotografin Diane Arbus traten getrennt ein, beide von einem gewissen fahrigen Sendungsbewusstsein beseelt. Jonas Mekas mit seiner allgegenwärtigen Kamera und seinem unergründlichen Lächeln filmte die obskuren Nischen des Lebens im und um das Chelsea Hotel. Ich stand mit einer ausgestopften Krähe da, die ich für einen warmen Händedruck dem Museum of the American Indian abgekauft hatte. Wahrscheinlich wollten sie sie loswerden. Ich hatte sie Raymond getauft, nach Raymond Roussel, dem Autor von Locus Solus. Ich musste gerade denken, was für ein magisches Portal diese Lobby doch war, als sich wie durch einen Windstoß die schwere Glastür auftat und eine vertraute Gestalt in einem Cape in Schwarz und Scharlachrot hereinwehte. Es war Salvador Dalí. Er sah sich nervös in der Lobby um und lächelte dann, als er meine Krähe sah. Er legte mir seine elegante, knochige Hand auf den Kopf und sagte: »Du bist eine Krähe, wie aus einem Schauerroman.«

    »Tja«, sagte ich zu Raymond, »ein ganz normaler Tag im Chelsea.«
    Mitte Januar lernten wir Steve Paul kennen, den Manager von Johnny Winter. Steve war ein charismatischer Unternehmer, dem New York einen der besten Rockclubs der Sechziger verdankte, das Scene. Es lag in einer Seitenstraße des Times Square und war eine beliebte Adresse für durchreisende Musiker und spätabendliche Jam-Sessions geworden. Ganz in blauem Samt gekleidet und permanent geistesabwesend, hatte Steve ein wenig von Oscar Wilde, ein wenig von der Grinsekatze. Er handelte gerade einen Plattenvertrag für Johnny aus, den er in einer Suite im Chelsea untergebracht hatte.
    Wir stießen eines Abends alle im El Quixote aufeinander. Während der kurzen Zeit, die wir mit Johnny verbrachten, war ich von seiner Intelligenz und seinem intuitiven Kunstverstand beeindruckt. Im Gespräch war er offen und freundlich-zurückhaltend. Sie luden uns zu seinem Konzert im Filmore East ein. Ich hatte noch nie einen Musiker gesehen, der sein Publikum derart mühelos in den Griff bekam. Er war furchtlos und scheute sich nie, sich unbeliebt zu machen – er wirbelte wie ein Derwisch auf der Bühne herum und ließ den Schleier seines langen weißen Haars flattern. Er war schnell und fingerfertig an der Gitarre und bannte die Menge mit seinem Silberblick und seinem fröhlich-sardonischen Grinsen.
    Am Groundhog Day gingen wir zu einer kleinen Party für Johnny im Chelsea, um seinen Vertrag mit Columbia Records zu feiern. Die meiste Zeit des Abends

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