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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Aufregung ins Zimmer kam. Er sagte, er müsse mir unbedingt etwas zeigen. Ich zog mich rasch an und folgte ihm zu unserem Atelier. Wir rannten die Stufen hoch.
    Beim Eintreten sah ich mich rasch im Raum um. Die Energie darin war beinahe zu greifen. Spiegel, Glühbirnen und Teile von Ketten waren auf einer Bahn von schwarzem Wachstuch ausgebreitet. Es war eine neue Assemblage, er wollte mir jedoch speziell eine andere Arbeit zeigen, die an der Wand mit den Halsketten lehnte. Seit er das Interesse an Malerei verloren hatte, hatte er keine Leinwand mehr aufgespannt, aber er hatte einen der Keilrahmen behalten. Nun hatte er ihn vollständig mit Bildern aus seinen Schwulenmagazinen beklebt. Der Rahmen war rundum mit Gesichtern und Torsos junger Männer bedeckt. Robert war ganz zittrig vor Aufregung.
    »Das ist gut, oder?«
    »Ja«, sagte ich, »das ist genial.«
    Es war ein relativ schlichtes Stück, von dem jedoch eine innere Kraft ausging. Nichts daran war überflüssig: als Objekt perfekt.
    Der Fußboden war mit Papierschnipseln übersät. Der Raum stank nach Klebstoff und Firnis. Robert hängte den Rahmen an die Wand, steckte sich eine Zigarette an, und wir betrachteten ihn schweigend.
    Es heißt, Kinder unterscheiden nicht zwischen belebten und unbelebten Dingen, aber ich glaube, das tun sie sehr wohl. Ein Kind haucht einer Puppe oder einem Zinnsoldaten magischen Lebensatem ein. Der Künstler beseelt sein Werk wie ein Kind sein Spielzeug. Robert beseelte Dinge durch seinen Schöpfungsdrang, kraft seiner göttlichen sexuellen Energie, ob in der Kunst oder im Leben. Er verwandelte einen Schlüsselbund, ein Küchenmesser oder einen schlichten Holzrahmen in Kunst. Er liebte seine Arbeit, und er liebte seine Dinge. Einmal tauschte er ein Bild gegen ein PaarReitstiefel ein – absolut zu nichts zu gebrauchen, aber von fast überirdischer Schönheit. Er wichste und polierte die Stiefel mit der Hingabe eines Stallburschen, der eine Stute striegelte.
    Diese Liebe zu edlem Schuhwerk fand ihren Höhepunkt eines Abends, als wir aus dem Max’s zurückkamen. Wir bogen gerade um die Ecke der Seventh Avenue, da stießen wir auf ein Paar Krokodillederschuhe, die strahlend schön auf dem Bürgersteig standen. Robert hob sie auf, drückte sie an seine Brust und erklärte sie zum Geschenk des Himmels. Sie waren dunkelbraun, mit seidenen Schnürsenkeln, und scheinbar völlig ungetragen. Auf Zehenspitzen fanden sie den Weg in eine Assemblage, die Robert aber oft demontierte, weil er die Schuhe manchmal brauchte. Mit einem Knäuel Papier in den Spitzen passten sie einigermaßen, waren aber doch nicht ganz das Richtige zu Jeans und Rollkragenpullover. Also schlüpfte Robert aus dem Pullover in ein schwarzes Netz-T-Shirt, hängte einen großen Schlüsselring an seine Gürtelschlaufe und ließ die Strümpfe weg. So war er dann bereit für einen Abend im Max’s, ohne Geld fürs Taxi, jedoch mit einem Kleinod an den Füßen.
    Die Nacht der Schuhe, wie wir sie im Nachhinein tauften, wertete Robert als gutes Omen, dass wir auf dem richtigen Weg waren, wenn ihn auch viele Wege kreuzten.
    Gregory Corso brauchte einen Raum nur zu betreten, um ihn ins Chaos zu stürzen, doch das verzieh man ihm gerne, denn mit der gleichen Leichtigkeit gelang es ihm, ungeheuer Schönes zu erschaffen.
    Wahrscheinlich hatte Peggy uns miteinander bekannt gemacht, denn die beiden standen sich sehr nahe. Ich entwickelte eine große Zuneigung zu ihm, und natürlich fand ich auch, dass er einer unserer größten Dichter war. Mein zerlesenes Exemplar von The Happy Birthday of Death hatte seinen festen Platz auf meinem Nachttisch. Gregory war der Jüngste der Beat-Autoren. Er war auf seine zerknautschte Art sehr attraktiv und hatte einedraufgängerische Präsenz à la John Garfield. Sich selbst nahm er nicht immer ernst, seine Dichtung jedoch war ihm todernst.
    Gregory liebte Keats und Shelley, und er kam gelegentlich mit halb auf den Knien hängender Hose in die Lobby gewankt und rezitierte flüssig ihre Verse. Als ich irgendwann darüber jammerte, dass ich ein Gedicht nicht beenden konnte, hielt er mir Mallarmé entgegen: »Dichter beenden Gedichte nicht, sie überlassen sie sich selbst.« Dann fügte er hinzu: »Keine Sorge, du schaffst das schon, Kleine.«
    Ich darauf: »Woher willst du das wissen?«
    Und er entgegnete: »Weil ich es eben weiß.«
    Gregory nahm mich mit zum St. Mark’s Poetry Project, einem Autorenkollektiv in der historischen Kirche in der East Tenth

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