Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
Vom Netzwerk:
Street. Bei den Lesungen buhte Gregory die Vortragenden aus und unterbrach allzu Profanes mit Zwischenrufen wie Scheiße! Scheiße! Kein Herzblut! Du brauchst eine Transfusion!
    Als ich das sah, schrieb ich mir gleich hinter die Ohren, auf gar keinen Fall langweilig zu sein, sollte ich jemals Gedichte von mir vortragen. Gregory erstellte Listen von Büchern, die ich lesen sollte, nannte mir das beste Wörterbuch, ermutigte und forderte mich. Gregory Corso, Allen Ginsberg und William Burroughs waren meine Lehrer, und sie alle traf ich in der Lobby des Chelsea Hotels, meiner neuen Universität.

    »Ich bin es leid, wie ein Hirtenjunge auszusehen«, sagte Robert, der seine Frisur im Spiegel musterte. »Kannst du sie mir wie so ein Rockstar aus den Fünfzigern schneiden?« Obwohl ich sehr an seinen ungebändigten Locken hing, griff ich zur Schere und dachte beim Schnippeln an Rockabilly. Traurig las ich eine abgeschnittene Locke auf und presste sie zwischen Buchseiten, während Robert, angetan von seinem neuen Look, vor dem Spiegel Faxen machte.

    Im Februar nahm er mich mit in die Factory, um Rohschnittszenen von Trash anzusehen. Es war das erste Mal, dass wir eingeladen waren, und Robert freute sich sehr darauf. Mich beeindruckte der Film nicht; vielleicht war er mir nicht französisch genug. Robert bewegte sich im Warhol-Umfeld wie ein Fisch im Wasser, war aber enttäuscht von der sterilen Atmosphäre der neuen Factory, und natürlich auch, dass Andy nicht persönlich erschien. Ich war erleichtert, Bruce Rudow zu sehen, der mich mit seiner Freundin Diane Podlewski bekannt machte, die in dem Film Holly Woodlawns Schwester spielte. Sie war ein freundliches Mädchen aus dem Süden mit üppigem Afro und trug marokkanische Kleidung. Ich erkannte sie von einem Diane-Arbus-Foto wieder, das im Chelsea aufgenommen worden war, mehr ein Junge als ein Mädchen.
    Als wir im Aufzug wieder runterfuhren, sprach mich Fred Hughes, der die Factory managte, herablassend an: » Ohhh, deine Frisur ist ja schwer Joan Baez. Bist du Folksängerin?« Ich weiß auch nicht warum, schließlich bewunderte ich Joan Baez, aber es wurmte mich.
    Robert nahm meine Hand. »Ignorier ihn einfach«, sagte er.
    Ich war in einer miesen Stimmung. Es war einer jener Abende, an denen einem immer wieder die gleichen düsteren Gedanken im Kopf herumgehen. Ich musste daran denken, was Fred Hughes gesagt hatte. Scheiß drauf, dachte ich, sauer, weil er mich verspottet hatte.
    Ich betrachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken. Mir wurde klar, dass ich meinen Haarschnitt nicht mehr verändert hatte, seit ich ein Teenager war. Ich hockte mich auf den Fußboden und breitete die paar Rock-Zeitschriften, die ich besaß, vor mir aus. Ich kaufte sie mir normalerweise, um neue Bilder von Bob Dylan zu finden, aber diesmal war ich nicht auf der Suche nach Bob. Ich schnitt alle Bilder von Keith Richards aus, die ich finden konnte. Ich studierte sie eine Weile, dann nahm ich die Schere und bahnte mir wie mit der Machete einen Weg von der Folk-Ära indie Gegenwart. Ich wusch mir die Haare im Badezimmer auf dem Flur und schüttelte sie trocken. Es war ein befreiendes Erlebnis.
    Als Robert nach Hause kam, war er überrascht, aber angenehm. »Was ist denn in dich gefahren?«, fragte er. Ich zuckte bloß die Achseln. Aber als wir dann ins Max’s gingen, erregte mein neuer Haarschnitt unerhörtes Aufsehen. Ich konnte es kaum fassen, wie sich alle deswegen anstellten. Obwohl ich immer noch derselbe Mensch war, hatte mein sozialer Status sich schlagartig verbessert. Meine Keith-Richards-Frisur war ein wahrer Diskursmagnet. Ich musste an die Mädchen denken, die ich auf der Schule gekannt hatte. Sie hatten davon geträumt, Sängerinnen zu werden, waren aber Friseusen geworden. Mich interessierte keiner der beiden Berufe, aber in den kommenden Wochen würde ich jeder Menge Leute die Haare schneiden und im La MaMa als Sängerin auf der Bühne stehen.
    Irgendwer im Max’s fragte mich, ob ich androgyn wäre. Ich fragte, was das hieße. »Na, du weißt doch, so wie Mick Jagger.« Dann musste es ja cool sein. Ich dachte, das Wort bedeutete, schön und hässlich zugleich zu sein. Aber egal, was es bedeutete, ich war über Nacht auf wundersame Weise androgyn geworden, und hatte mir dazu nur die Haare schneiden müssen.
    Plötzlich taten sich Möglichkeiten auf. Jackie Curtis fragte, ob ich in ihrem Stück Femme Fatale mitspielen wolle. Ich hatte kein Problem damit, einen Jungen zu

Weitere Kostenlose Bücher