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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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unwiderstehlich zueinander hin. David führte Robert in seine Welt ein, in der er sich schnell heimisch fühlte.

    Sie verbrachten mehr und mehr Zeit miteinander. Ich sah Robert zu, wenn er sich zum Ausgehen fertig machte wie ein Gentleman, der auf Fuchsjagd gehen will. Das bunte Taschentuch, das er faltete und hinten in die Hosentasche steckte. Sein Armband. Seine Weste. Und diese langsame, bedächtige Art, mit der er sein Haar kämmte. Er wusste, dass ich seine Haare gerne ein bisschen wirr mochte, also wusste ich, dass er seine Locken nicht für mich bändigte.
    Robert blühte gesellschaftlich gesehen auf. Er lernte Leute kennen, deren Wege gelegentlich die Factory-Grenzen kreuzten, und er freundete sich mit dem Dichter Gerard Malanga an. Gerard hatte peitschenschwingend bei Velvet Underground getanzt, er machte Robert mit Läden wie dem Pleasure Chest vertraut, einem Geschäft für Sexartikel, und lud ihn in einen der vornehmsten literarischen Salons der Stadt ein. Robert bestand darauf, mich zu einem dieser Abende im Dakota mitzunehmen, in der Wohnung von Charles Henri Ford, dem Herausgeber des äußerst einflussreichen Magazins View, das den Surrealismus in Amerika bekannt gemacht hatte.

    Ich kam mir vor, als wäre ich bei Verwandten zum Sonntagsessen. Während diverse Dichter endlose Gedichte vortrugen, fragte ich mich, ob Ford sich nicht insgeheim zu den Salons seiner Jugend zurückwünschte, bei denen Gertrude Stein Hof hielt und sich Leute wie Breton, Man Ray oder Djuna Barnes einfanden.
    Irgendwann im Lauf des Abends beugte er sich zu Robert herüber und sagte: »Ihre Augen sind unglaublich blau.« Ich fand das ziemlich komisch, da Roberts Augen bekanntlich grün sind.
    Roberts Geschmeidigkeit bei solchen gesellschaftlichen Anlässen verblüffte mich weiterhin. Als wir uns kennenlernten, war er so schüchtern gewesen, doch als er in die unbekannten Gewässer des Max’s, des Chelsea und der Factory vorstieß, konnte ich zusehen, wie er seine Berufung fand.

    Unsere Zeit im Chelsea ging ihrem Ende entgegen. Obwohl wir nur einige Häuser vom Hotel entfernt sein würden, wusste ich, dass dann alles anders sein würde. Ich ging davon aus, dass wirmehr arbeiten, dafür aber eine gewisse Intimität aufgeben würden – und unsere Nähe zu Dylan Thomas’ Zimmer. Jemand anderer würde meinen Platz in der Lobby des Chelsea einnehmen.
    Als eine meiner letzten Handlungen im Chelsea machte ich mein Geschenk zu Harrys Geburtstag fertig. Alchemical Roll Call war ein bebildertes Gedicht, das auf Gesprächen gründete, die Harry und ich über Alchemie geführt hatten. Der Aufzug war gerade außer Betrieb, also ging ich die Treppe hoch zu Zimmer 705. Harry öffnete die Tür, noch bevor ich klopfen konnte – er trug einen Skipullover mitten im Mai. Er hatte einen Karton Milch in der Hand, als wollte er sie in seine untertassengroßen Augen gießen.
    Er studierte hochinteressiert mein Geschenk und archivierte es dann gleich. Es war eine Ehre und ein Fluch zugleich, denn zweifellos war es nun für immer unauffindbar im riesigen Labyrinth seines Archivs verschwunden.
    Er beschloss, mir etwas ganz Besonderes vorzuspielen, ein seltenes Peyote-Ritual, das er vor Jahren aufgenommen hatte. Er versuchte, das Band einzulegen, hatte aber Schwierigkeiten mit seinem Wollensak-Tonbandgerät. »Dieser Bandsalat ist noch verhedderter als deine Haare«, sagte er genervt. Plötzlich starrte er mich an und kramte dann in seinen Schubladen und Kartons, bis er eine Haarbürste aus Silber und Elfenbein mit langen, blassen Borsten zu Tage förderte. Ich wollte sie mir sofort nehmen. »Finger weg!«, schimpfte er. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich in seinen Sessel, und ich setzte mich zu seinen Füßen. In völligem Schweigen kämmte Harry mir alle Knoten aus dem Haar. Ich fragte mich, ob die Bürste wohl seiner Mutter gehört hatte.
    Anschließend fragte er mich, ob ich Geld hätte. »Nein«, sagte ich, und er tat so, als wäre er stinksauer. Doch ich kannte Harry. Er wollte bloß die Intimität des Moments abschwächen. Jedes Mal wenn man einen schönen Moment mit Harry erlebte, musste er ihn ins Gegenteil verkehren.
    Am letzten Tag im Mai hatte Robert seine neuen Freunde inseine Hälfte des Lofts eingeladen. Er spielte Motown-Stücke auf unserem Plattenspieler und wirkte überaus glücklich. Das Loft war dreimal so groß wie unser Hotelzimmer. Wir hatten sogar Platz zum Tanzen.
    Nach einer Weile ließ ich sie allein und ging in unser

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