Just Kids
weiterhin vor mir verborgen zu halten. Zwischen ihnen bauten sich Spannungen auf.
Die Krise kam auf einer Party zum Höhepunkt, zu der wir gemeinsam mit David und seiner Freundin Loulou de Falaise gegangen waren. Wir tanzten alle vier. Ich mochte Loulou, ein charismatischer Rotschopf und die gefeierte Muse von Yves Saint Laurent, Tochter eines Schiaparelli-Models und eines französischen Grafen. Sie trug ein breites afrikanisches Armband, und wenn sie es abnahm, sah man eine rote Kordel um ihr zierliches Handgelenk, die ihr angeblich Brian Jones umgebunden hatte.
Der Abend schien sich ganz gut zu entwickeln, abgesehen davon, dass Robert und David sich immer wieder absetzten und unter vier Augen hitzig diskutierten. Plötzlich packte David Loulou bei der Hand, zerrte sie von der Tanzfläche und verließ abrupt die Party.
Robert rannte ihm nach und ich hinterher. Als David und Loulou in ein Taxi kletterten, flehte Robert David an, nicht wegzugehen. Loulou schaute David verwirrt an und sagte: »Seid ihr beide ein Paar?« David knallte die Taxitür zu, und der Wagen brauste davon.
Robert war jetzt in der unangenehmen Lage, mir erzählen zu müssen, was ich längst wusste. Ich regte mich nicht auf, sondern blieb still sitzen, während er die richtigen Worte zu finden versuchte, um mir zu erklären, was gerade vorgefallen war. Es bereitete mir überhaupt kein Vergnügen, Robert so verstört zu sehen. Ich wusste, wie schwer es für ihn war, daher kam ich ihm zuvor und wiederholte, was Tinkerbelle mir erzählt hatte.
Robert war wütend. »Wieso hast du mir denn nichts gesagt?«
Robert war am Boden zerstört, weil Tinkerbelle mir nicht nur erzählt hatte, dass er eine Affäre hat, sondern auch, dass er homosexuell war. Es schien mir, als hätte Robert vergessen, dass ich es längst wusste. Es muss auch deswegen schwer für ihn gewesen sein, weil er zum ersten Mal eindeutig auf eine sexuelle Präferenz festgelegt wurde. Seine Beziehung zu Terry in Brooklyn war zwischen uns dreien geblieben und nicht öffentlich geworden.
Robert weinte.
»Bist du dir sicher?«, fragte ich.
»Ich bin mir bei gar nichts sicher. Ich will meine Sachen machen. Ich weiß, dass ich gut bin. Das ist alles, was ich weiß.«
»Patti«, sagte er und nahm mich in den Arm, »nichts von all dem hat irgendwas mit dir zu tun.«
Nach diesem Vorfall sprach Robert kaum noch mit Tinkerbelle. David zog in die Seventeenth Street, nicht weit von dem Haus, in dem Washington Irving gelebt hatte. Ich schlief auf meiner Seite der Wand und Robert auf seiner. Unser Leben entwickelte sich mit einer solchen Geschwindigkeit, dass wir einfach weitermachten.
Erst als ich später mit meinen Gedanken allein war, setzte bei mir eine Reaktion ein. Ich war niedergeschlagen, enttäuscht, dass er mir nicht vertraut hatte. Er hatte mir gesagt, es gäbe nichts, worüber ich mir Sorgen machen müsste, doch letztlich tat ich es doch. Trotzdem verstand ich, warum er mir nichts hatte sagen können. Die eigenen Beweggründe zu erklären und die eigene sexuelle Identität zu umgrenzen war ihm einfach wesensfern. Seine Neigung zu Männern war verzehrend, dennoch fühlte ich mich nie weniger geliebt. Es war nicht leicht für ihn, unsere körperliche Verbindung abreißen zu lassen, das wusste ich.
Robert und ich hielten weiterhin an unserem Gelübde fest, einander nie zu verlassen. Ich betrachtete ihn nie unter dem Blickwinkel seiner Sexualität. Mein Bild von ihm blieb intakt. Er war der Künstler meines Lebens.
Bobby Neuwirth ritt in die Stadt ein, als gehörte sie ihm. Er brauchte nur abzusteigen, und die Maler, Musiker und Dichter strömten zusammen zum großen Stammestreffen. Er war ein Katalysator, brachte Dinge ins Rollen. Er schneite einfach rein, schleppte mich irgendwohin und setzte mich anderen Künstlern und Musikern aus. Ich war noch ein Fohlen auf wackligen Beinen, aber er würdigte meine unbeholfenen Gehversuche in Richtung Songschreiben und ermutigte mich. Ich versuchte etwashinzukriegen, das seinen Glauben an mich rechtfertigte. Ich bastelte an langen Balladen im Stile von Geschichtenerzählern wie Blind Willie McTell oder Hank Williams.
Am 5. Juni 1970 nahm er mich mit ins Fillmore East, um Crosby, Stills, Nash and Young zu sehen. Die Band war wirklich nichts für mich, aber von Neil Youngs Auftritt war ich ergriffen; sein Song Ohio hatte bei mir tiefen Eindruck hinterlassen. Für mich manifestierte sich in dem Song die Rolle des Künstlers als Chronist, denn er
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