Just Kids
hingeworfen, worauf der Typ auf ihn losgegangen war. Robert war aus dem Laden in die U-Bahn gerannt, und dann den ganzen Weg nach Hause.
»Und das alles wegen einem verdammten Heft.«
»War es denn wenigstens gut?«
»Keine Ahnung, es sah gut aus, aber der Kerl hat mir den Spaß dran verdorben.«
»Du solltest deine eigenen Fotos machen. Die wären sowieso besser.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hast du recht.«
Ein paar Tage später waren wir bei Sandy. Robert nahm beiläufig ihre Polaroidkamera zur Hand. »Kannst du mir die mal leihen?«, fragte er.
Die Polaroidkamera in Roberts Händen. Der rein physische Vorgang, eine ruckartige Bewegung aus dem Handgelenk. DasRatschen beim Herausziehen und dann sechzig Sekunden lang gespannte Erwartung, was man zu sehen bekam. Die Unmittelbarkeit des Verfahrens entsprach seinem Temperament.
Zuerst spielte er nur mit der Kamera. Er war noch nicht wirklich sicher, ob sie etwas für ihn war. Und eine Kassette war teuer, zehn Bilder für etwa drei Dollar, 1971 war das eine ziemliche Summe. Aber es war ein Fortschritt gegenüber dem Passbildautomaten, und die Bilder entwickelten sich vor unseren Augen.
Ich war Roberts erstes Modell. Mit mir war er vertraut, und er brauchte Zeit, seine Technik zu entwickeln. Die Mechanik der Kamera war simpel, allerdings waren die Möglichkeiten sehr begrenzt. Wir machten zahllose Aufnahmen. Zuerst musste er mich bremsen. Ich wollte, dass er mich fotografierte wie beim Plattencover für Bringing It All Back Home, auf dem Bob Dylan sich mit seinen Lieblingssachen umgeben hat. Ich arrangierte also meine Würfel, mein »Sinners«-Nummernschild, eine Platte von Kurt Weill und meine Blonde On Blonde und zog einen schwarzen Slip à la Anna Magnani an.
»Zu viel Zeug«, sagte er. »Ich will ein Bild nur von dir.«
»Aber ich mag diese Sachen«, sagte ich.
»Wir machen hier kein Plattencover, wir machen Kunst.«
»Ich hasse Kunst!«, brüllte ich, und er machte die Aufnahme.
Robert war selbst sein eigenes erstes männliches Modell. Niemand konnte ihm reinreden, wenn er sich selbst fotografierte. Er behielt die Kontrolle. Er fand heraus, was er sehen wollte, indem er sich selbst sah.
Er war mit seinen ersten Fotos zufrieden, die Filmkassetten waren allerdings so kostspielig, dass er die Kamera erst mal beiseitelegen musste, wenn auch nicht für lange. Robert verbrachte viel Zeit damit, sein Atelier und die Präsentation seiner Arbeiten zu verbessern.
Doch manchmal sah er mich sorgenvoll an. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er dann. Ich sagte ihm, er solle sich keine Gedanken machen. Ehrlich gesagt, war ich mit so vielen anderenDingen beschäftigt, dass Roberts sexuelle Orientierung nicht meine Hauptsorge war.
Ich mochte David, Robert gelangen hervorragende Arbeiten, und ich war zum ersten Mal in der Lage, mich so auszudrücken, wie ich es wollte. Mein Zimmer spiegelte das lebhafte Durcheinander meines Innenlebens wider, halb Güterwagen, halb Märchenland.
Eines Nachmittags kam Gregory Corso zu Besuch. Er ging erst zu Robert, und sie zogen einen durch, sodass die Sonne schon unterging, als er bei mir reinschaute. Ich hockte auf dem Fußboden und schrieb auf meiner Remington. Gregory kam rein und scannte eingehend den Raum. Piss-Becher und kaputtes Spielzeug. »Ja, hier gefällt es mir.« Ich zerrte einen alten Sessel rüber. Gregory zündete sich eine Zigarette an und las sich durch meinen Stapel verworfener Gedichte, nickte ein und machte ein Brandloch in die Lehne des Sessels. Ich kippte etwas von meinem Nescafé drüber. Er wachte auf und trank den Rest. Ich steckte ihm ein paar Dollar für seine dringendsten Bedürfnisse zu. Als er aufbrach, fiel sein Blick auf ein altes französisches Kruzifix an der Wand über meiner Matratze. Unter den Füßen von Jesus hing ein Totenschädel mit der Aufschrift memento mori. »Das bedeutet ›Denk daran, dass wir sterblich sind‹«, sagte Gregory, »aber Gedichte sind es nicht.« Ich nickte bloß.
Als er fort war, setzte ich mich in den Sessel und fuhr mit den Fingern über das Brandloch von seiner Zigarette, eine frische Narbe, die einer unserer größten Dichter zurückgelassen hatte. Er würde immer Ärger verheißen und vielleicht sogar Chaos anrichten, dennoch hat er uns mit einem Werk beschenkt, so rein wie ein neugeborenes Rehkitz.
Heimlichtuerei umgab Robert und David. Beide genossen ein gewisses Maß an Geheimniskrämerei, doch ich denke, David war zu offenherzig, um ihre Beziehung
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