Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
Vom Netzwerk:
altes Zimmer im Chelsea. Ich saß da und weinte, dann wusch ich mir an unserem kleinen Waschbecken das Gesicht. Es war das erste und einzige Mal, dass ich das Gefühl hatte, einen Teil von mir selbst für Robert aufzugeben.
    Wir gewöhnten uns rasch an unser neues Leben. Ich hüpfte von einem Karo des schachbrettartig gemusterten Bodens unseres Flurs zum nächsten, so wie ich es auch im Chelsea getan hatte. Anfangs schliefen wir beide in dem kleineren Raum, da Robert den größeren noch herrichtete. In der ersten Nacht, in der ich schließlich allein schlief, fing alles noch ganz gut an. Robert hatte mir den Plattenspieler überlassen, und ich hörte Piaf und schrieb, musste aber feststellen, dass ich nicht einschlafen konnte. Egal was passiert war, wir waren daran gewöhnt, in den Armen des anderen einzuschlafen. Um drei Uhr morgens schlang ich mein Musselinlaken um mich und klopfte leise an Roberts Tür. Er öffnete auf der Stelle.
    »Patti«, sagte er, »wieso kommst du erst jetzt?«
    Ich spazierte hinein und versuchte, ganz ungezwungen zu wirken. Es war offensichtlich, dass er die ganze Nacht gearbeitet hatte. Ich entdeckte ein neues Bild, die Komponenten für eine neue Konstruktion. Ein Bild von mir an seinem Bett.
    »Ich wusste, dass du kommen würdest«, sagte er.
    »Ich hatte einen Albtraum, ich konnte nicht schlafen. Und ich musste mal.«
    »Bist du ins Chelsea gegangen?«
    »Nein«, sagte ich, »ich hab in einen leeren Plastikbecher gepinkelt.«
    »Patti, nein!«
    Es war ein langer Weg bis ins Chelsea mitten in der Nacht, wenn man wirklich musste.
    »Na los, Porzellanpüppchen«, sagte er, »rein mit dir.«
    Alles lenkte mich ab, am meisten ich mich selbst. Robert kam dann rüber auf meine Seite des Lofts und schimpfte mit mir. Ohne seine ordnende Hand lebte ich in einem Zustand des anschwellenden Chaos. Ich hatte die Schreibmaschine auf eine leere Orangenkiste gestellt. Der Fußboden war übersät mit Florpost-Papier voller halbfertiger Songs, Gedanken zum Tod von Majakowski und Grübeleien über Bob Dylan. Überall lagen Platten herum, die besprochen werden wollten. Die Wand war zugepinnt mit meinen Helden, aber meine eigenen Bemühungen waren alles andere als heldenhaft. Ich saß auf dem Fußboden und versuchte zu schreiben, schnippelte aber stattdessen an meinen Haaren herum. Die Dinge, von denen ich erwartete, dass sie eintreten würden, traten nicht ein. Und Dinge, die ich nie vorhergesehen hatte, entwickelten sich.
    Ich fuhr meine Eltern besuchen. Ich musste intensiv darüber nachdenken, in welche Richtung ich mich bewegen sollte. Ich fragte mich, ob ich das Richtige tat. Waren das alles nur Nichtigkeiten? Dasselbe nagende Schuldgefühl hatte mich schon bei meinem Theaterauftritt befallen an dem Tag, als die Studenten an der Kent State University erschossen wurden. Ich wollte Künstlerin sein, aber ich wollte auch, dass meine Arbeit etwas bewirkte.
    Meine Familie saß am Tisch. Mein Vater las uns Plato vor. Meine Mutter machte Frikadellen-Sandwiches. Wie immer herrschte am Tisch eine Atmosphäre der Kameradschaft. Mittendrin erhielt ich einen unerwarteten Anruf von Tinkerbelle. Sie erklärte mir ohne Umschweife, dass Robert und David eine Affäre hatten. »Sie sind in diesem Moment zusammen«, erzählte sie mir mit einem gewissen Triumph in der Stimme. Ich sagte ihr nur, dass der Anruf unnötig gewesen sei, weil ich es längst wusste.
    Ich war wie benommen, als ich den Hörer auflegte, dennochfragte ich mich, ob sie nicht nur ausgesprochen hatte, was ich längst intuitiv erfasst hatte. Ich war mir nicht sicher, warum sie mich angerufen hatte. Sie tat mir ja keinen Gefallen damit. So nah standen wir uns auch wieder nicht. War es Böswilligkeit, oder war sie nur eine Klatschtante? Und es war ja immerhin möglich, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Auf der Rückfahrt im Bus beschloss ich, es nicht zu erwähnen und Robert Zeit zu lassen, es mir selbst zu erzählen.
    Er hatte diesen gehetzten Gesichtsausdruck, wie damals, als er den Blake von Brentano im Klo runtergespült hatte. Er war auf der Forty-second Street gewesen und hatte ein interessantes neues Schwulenmagazin gesehen, das fünfzehn Dollar kosten sollte. Er hatte zwar genug Geld dabei, wollte aber sichergehen, dass das Heft es auch wert war. Als er es aus der Zellophanhülle zog, hatte ihn der Ladenbesitzer erwischt. Er war laut geworden und hatte von Robert verlangt, das Heft jetzt zu kaufen. Robert war sauer geworden und hatte ihm das Magazin

Weitere Kostenlose Bücher