Just Listen - Roman
Irgendwie.
Die letzten anderthalb Monate hatte ich wie unter Wasser verbracht. Alles verschwamm ineinander, ich funktionierte quasi auf Halbautomatik. Nur eins stand fest: Mein Leben verlief in exakt denselben Bahnen wie zu Beginn des Schuljahrs. Als ob die Zeit, die ich mit Owen verbracht hatte, gelöscht war. Wieder schlug ich mich in der Schule allein durch, wieder modelte ich, obwohl ich gar nicht wollte. Und war völlig unfähig, irgendetwas gegen irgendetwas zu unternehmen.
Damals, an jenem Sonntagmorgen nach der Nacht im
Bendo
, wachte ich wie jede Woche pünktlich um sieben auf, genau rechtzeitig für Owens Sendung. Doch ich musste nur einmal die Augen öffnen, um zu wissen, dass dieser Morgen anders war. Deshalb drehte ich mich um, weg von meinem Wecker, und versuchte krampfhaft, wieder einzuschlafen. Konnte aber spüren, wie etwas in mir dennoch hartnäckig aufwachte, Stück für Stück. Bis die Erinnerungen über mich hereinbrachen.
Owen war garantiert supersauer auf mich. Schließlich hatte ich mich klammheimlich verzogen. Ohne Erklärung. Ohne gar nichts. Und das Schlimmste: Noch während ich es tat, wusste ich: Du machst einen Fehler! Konnte trotzdem nichts daran ändern. Der einzige Weg, die Sache wieder hinzubiegen, wäre gewesen, ihm offen und ehrlich zu erklären, warum ich abgehauen war. Aber das kriegte ich nicht hin. Nicht einmal für ihn.
Wie sich allerdings herausstellte, lag die Entscheidung, ob wir uns über jenen fatalen Abend unterhalten würden oder nicht, längst nicht mehr allein bei mir. Am folgenden Montag, unserem nächsten gemeinsamen Schultag, traf Owen diese Entscheidung für uns beide.
Ich hatte gerade eingeparkt und saß noch im Wagen, als er plötzlich auf der Fahrerseite auftauchte. Er kündigte sich durch Klopfen an, durch ein dreimaliges, energisches Pochen,
tock tock tock
. Ich zuckte zusammen, wandte mich zum Fenster. Sobald er sah, dass ich ihn bemerkt hatte, nahm er die Hand runter und ging um meine vordere Stoßstange Richtung Beifahrertür. Als er sie öffnete, holte ich tief Luft – so, wie man es tun soll, falls der Wagen jemals unter Wasser gerät. Ein letzter Atemzug, bevor man untergeht. Und dann saß Owen auch schon auf dem Beifahrersitz.
»Was ist in dich gefahren?«
Keine Begrüßung (ich hatte auch nichts anderes erwartet). Kein kühles Schweigen, das ich irgendwie hätte beenden müssen. Nur das, was ihn seit, nun ja, etwa sechsunddreißig Stunden beschäftigte. Doch was fast das Schlimmste war: Er sah mich so angespannt, so – ja, so wütend an, dass ich ihm nur flüchtig in die Augen blicken konnte. Sein Mund war ein dünner Strich, sein Gesicht gerötet. Er füllte den kleinen Raum um uns völlig aus, nicht nur physisch. Es war beunruhigend. Beängstigend.
»Es tut mir leid.« Ich brachte die Worte kaum heraus, meine Stimme zitterte. »Ich war nur …«
Das ist das Problem mit guten Zuhörern. So jemand unterbricht dich nicht einfach. Bewahrt dich nicht davor, deine Sätze zu Ende bringen zu müssen. Redet auch nicht dazwischen, wodurch es viel schwieriger wird, sich an unangenehmen Stellen rauszuwinden oder Sachen wegzunuscheln, weil nichts von dem, was man sagt, verlorengeht oder im Durcheinanderreden so ganz nebenbei eine andere Bedeutung annimmt. Gute Zuhörer warten geduldig, dass man weiterspricht. Unerbittlich weiter.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, bekam ich schließlich zustande. »Ich weiß … es wirklich nicht.«
Er schwieg. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Ich ertrage das nicht länger
, dachte ich. Da machte Owen den Mund auf: »Du hättest es mir doch sagen können, wenn du nicht ins
Bendo
gewollt hättest am Samstag.«
Ich biss mir auf die Lippen, starrte auf meine Hände. Ein paar Typen, die sich lautstark über ihr Footballtraining unterhielten, latschten an meinem Fenster vorbei. »Ich
wollte
hin.«
»Was bitte war dann los? Wieso bist du einfach abgezischt?Ich hatte keine Ahnung, was passiert war. Ich habe auf dich gewartet.«
Dieser letzte Satz ließ mir fast das Herz zerspringen.
Ich habe auf dich gewartet.
Natürlich hatte er das. Und natürlich sagte er mir das auch, denn im Gegensatz zu mir behielt Owen nichts für sich. Bei ihm war das, was man sah, auch wirklich das, was man bekam.
»Tut mir leid«, sagte ich erneut, doch es klang selbst in meinen Ohren wenig überzeugend. Lahm. Bedeutungslos. »Ich war nur … ist ziemlich viel passiert.«
»Zum Beispiel?«
Ich schüttelte den Kopf.
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