Just Listen - Roman
die Gegend«, erklärte Dexter. »Sie studiert in Stanford und ist der klügste Mensch auf diesem Planeten.«
»Warum ist sie dann mit dir zusammen?«, fragte der Rothaarige.
»Keine Ahnung«, erwiderte Dexter. Remy verdrehte die Augen. »Ich schätze, es liegt an meinen Qualitäten als weltbester Rumknutscher.« Er beugte sich zu ihr, drückte ihr eine Reihe geräuschvoller, feuchter Küsse auf die Wange. Sie wich belustigt aus, versuchte ihn wegzuschieben, doch er ließ sich auf ihren Schoß fallen. Seine langen Beine ragten über die Sofalehne.
»Hör auf«, sagte sie lachend. »Idiot.«
Von draußen hörten wir jetzt noch qualvollere Rückkopplungen als bisher, prompt gefolgt von einem wütenden Pfeifkonzert. »Das kürzt ihren Auftritt hoffentlich ab«, sagte Ted. »Möchte sich vielleicht allmählich jemand auf den Gig hier vorbereiten, ich meine, könnte ja eventuell sein …?«
»Nein«, sagte der Rothaarige.
»Negativ«, fügte der andere Typ hinzu.
Ted sah sie durchdringend an. Stellte geräuschvoll sein Bierglas auf den Tisch, ging zur Tür, zog sie auf. Trat in denGang hinaus, knallte die Tür hinter sich zu. Unüberhörbar.
Der Rothaarige schmiss seine Karten auf den Tisch. »Rommé!«, sagte er und hob seine Hände in Siegespose über den Kopf. »Endlich.«
»Mannomann«, sagte sein Spielpartner. »Ich war auch ganz nah dran.«
»Los, runter«, befahl Remy. Dexter krabbelte von ihrem Schoß und auf die Füße. Dabei ließ er mal wieder sein Handy fallen. Doch dieses Mal blieb der Akku drin.
»Ted hat recht«, sagte er, obwohl Ted gerade hinausgegangen war. »Wir sollten in die Gänge kommen. Owen, seid ihr hinterher noch da?«
Owen warf mir einen fragenden Blick zu. »Klar«, antwortete er.
»Cool. Dann sehen wir uns später, okay?«
»Klingt gut.«
Plötzlich setzten sich alle auf einmal in Bewegung: Dexter steckte sein Handy in die Hosentasche, der Rothaarige schob seinen Stuhl zurück, der andere Typ sammelte die Karten ein. Owen und ich gingen in den Flur, wo wir an Ted vorbeikamen, der mit verdrossener Miene an der Wand lehnte. Owen wünschte ihm im Vorbeigehen Toi-toi-toi, woraufhin er etwas murmelte, das ich allerdings nicht verstand.
Auf unserem Weg zurück zu unserer Nische blickte ich zu Clarkes Tisch hinüber. Sie saß noch da, sah Richtung Bühne. Aber Rolly war verschwunden.
Schade
, dachte ich.
Immerhin habe ich es versucht.
»So«, sagte Owen, als wir uns wieder setzten. Die Vorgruppe trat gerade ab. »Jetzt kommt endlich richtige Musik. Wart’s ab, sie gefällt dir bestimmt.«
Ich nickte, lehnte mich an die Wand, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Doch als ich Owen das nächste Mal einen Blick zuwarf, bemerkte ich, dass er mich anstarrte. »Was ist?«
»Okay«, sagte er. »Du
hast
was. Spuck’s endlich aus!«
Ich erstarrte. Da war sie also. Die direkte Frage. Vielleicht konnte ich ja antworten. Einfach etwas sagen, es rauslassen, endlich. Vielleicht –
»Ich meine«, fuhr er fort, »es ist noch nie vorgekommen, dass du nicht protestierst, wenn ich behaupte, dir würde etwas gefallen, auf das ich abfahre. Dabei hast du keinen blassen Schimmer, was dir bevorsteht. Immerhin könnten als Nächstes
Ebb Tide II
auftreten. Hast du Fieber oder was?«
Er lächelte. Ich erwiderte das Lächeln, so gut ich konnte. Doch tief drinnen wurde mir plötzlich bewusst, wie schwer meine Lügen – alles, was ich absichtlich verschwiegen, nicht ausgesprochen hatte – wogen.
»Mir geht es bestens«, sagte ich. Auf der Bühne schlug jemand ein paar Akkorde auf einer Gitarre an. »Hör auf, mich abzulenken. Ich muss mich auf die Musik konzentrieren.«
Mittlerweile war es ziemlich voll, viel voller als bei der vorherigen Band. Bald sah ich nur noch Rücken und Schultern. Owen erhob sich. »Komm, auf mit dir«, meinte er.
»Ich sitze hier ganz gut.«
»Man sagt, ich
sehe
mir eine Band live an, weil das Sehen dazugehört.« Und dann streckte er die Hand aus.
Seit dem Ende der Modenschau an diesem Abend hatte ich versucht zu vergessen, was zwischen Emily und mir auf dem Laufsteg vorgefallen war. Aber als ich zu Owen aufblickte,kam alles wieder hoch. Nicht nur die Nacht, in der alles begann, sondern alle Tage, die vergangen waren, seit er mir das erste Mal so die Hand entgegengestreckt hatte. Mir damit auch seine Freundschaft anbot. Die mich gerettet hatte. Ich war so einsam gewesen, so verstört, verunsichert, so – ja, so
wütend
. Owen hatte das irgendwie
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