Just Listen - Roman
jetzt vielleicht? Den anderen ignorieren, ihm absichtlich aus dem Weg gehen? So zu tun, als wären wir niemals Freunde gewesen? Für dich mag das vielleicht einfach gewesen sein, aber ich fand es absolut ätzend. Das Allerletzte. Ich kann solche Spielchen nicht ausstehen.«
In dem Moment, da er das sagte, spürte ich etwas in meinem Magen. Aber es war nicht dieses Würgen, die sattsam bekannte Übelkeit. Eher ein leichtes Ziehen. Oder Sieden? »Ich stehe da auch nicht drauf, aber –«
»Wenn es so grauenhaft ist, dass du lieber all das in Kauf nimmst« – er umfasste mit einer weit ausholenden Gestedas Studio, das Rauschen aus den Lautsprechern, uns mittendrin – »den ganzen Mist und Horror, der in letzter Zeit abgegangen ist … wenn es wirklich so ungeheuerlich ist, dann darf man es einfach nicht in sich reinfressen. Und das weißt du auch.«
»Nein.
Du
weißt das, Owen. Weil du mit Wut keine Probleme hast, weder mit deiner eigenen noch mit der von anderen. Du orientierst dich einfach an den Sprüchen und allem anderen, was du zu dem Thema gelernt hast, bist immer ehrlich, bereust nie etwas, das du gesagt oder getan hast …«
»Doch, das tue ich schon.«
»... aber ich bin nun einmal nicht so«, brachte ich meinen Satz zu Ende. »Bin ich einfach nicht.«
»Was bist du denn dann, Annabel?«, konterte er. »Etwa eine Lügnerin, so wie du gleich am ersten Tag zu mir gesagt hast? Komm schon, das glaubst du doch selbst nicht. Das war die größte Lüge von allen.«
Ich sah ihn nur an. Meine Hände zitterten.
»Wenn du wirklich eine Lügnerin wärst, hättest du mich einfach angelogen.« Er blickte erneut auf das Mischpult. Das statische Geräusch wurde noch lauter. »Du hättest so getan, als wäre alles in Ordnung. Hast du aber nicht.«
»Nein.« Ich nickte.
»Und erzähl mir nicht, für mich sei alles so easy. Ist es nämlich nicht. Die letzten paar Monate, in denen ich nicht wusste, was mit dir los ist, waren beschissen. Was geht hier ab, Annabel? Was ist so schlimm, dass du es nicht einmal mir erzählen kannst?«
Ich spürte, wie mein Herz schlug, mein Blut in meinen Adern pulsierte. Owen beugte sich übers Mischpult, betätigte noch einmal ungeduldig den Lautstärkeregler. Dasstatische Geräusch füllte meine Ohren vollständig aus. Und plötzlich begriff ich, was für ein Gefühl sich in mir aufbaute: Wut.
Ich war wütend. Auf ihn, weil er mich dermaßen rundmachte. Auf mich selbst, weil ich bis heute gewartet hatte, um mich zu wehren. Auf jede andere verpasste Gelegenheit, die ich hätte nützen können. Ich hatte mich all die Monate über immer gleich verhalten und geglaubt, es geschähe aus Unsicherheit oder Angst. Aber ich hatte mich geirrt.
»Du kapierst das nicht«, sagte ich.
»Dann erklär’s mir, damit ich die Chance dazu bekomme.« Er schob den leeren Stuhl, der vor ihm stand, in meine Richtung. »Und was«, fuhr er aufgebracht fort, »ist bloß mit der verdammten CD los? Wo bleibt die Musik? Warum hören wir nichts?«
»Bitte, was sagst du da?«
Er drückte ein paar Knöpfe und Schalter, fluchte leise vor sich hin. »Da ist gar nichts drauf. Die ist leer.«
»Ging es nicht genau darum?«
»Wovon redest du? Worum soll was gehen?«
Das gibt’s nicht!
, dachte ich. Zog den Stuhl näher zu mir heran, setzte mich behutsam hin. Und da hatte ich geglaubt, die leere CD wäre ein tiefgründiges, bedeutsames Zeichen gewesen. Pustekuchen. Das Ganze war bloß … ein Versehen. Ein technischer Fehler. Ein einziger großer Irrtum.
Oder vielleicht doch nicht?
Plötzlich empfand ich alles als überlaut: seine Stimme, mein Herz, das statische Geräusch. Ich schloss die Augen, zwang mich, an letzte Nacht zu denken, als ich endlich in der Lage gewesen war, all die Dinge zu hören, die ich seit Ewigkeiten geheim gehalten hatte, sogar vor mir selbst.
Schsch, Annabel,
hörte ich eine Stimme sagen. Aber dieses Mal klang sie anders als sonst.
Ich bin’s bloß.
Owen drehte langsam die Lautstärke runter; das Rauschen über unseren Köpfen ebbte allmählich ab. Im Leben eines jeden Menschen kommt ein Augenblick, in dem die Welt verstummt. Alles, was bleibt, ist der eigene Herzschlag. Deshalb sollte man sich mit dem Geräusch rechtzeitig vertraut machen. Sonst versteht man nie, was es einem mitteilen will.
»Annabel?« Owens Stimme klang ruhiger. Näher bei mir. Besorgt. »Was hast du?«
Er hatte mir bereits so viel gegeben. Dennoch beugte ich mich jetzt vor, zu ihm, und bat
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