Just Listen - Roman
kann mir nicht vorstellen, wo sie hingekommen sein könnten …«
In dem Moment hörten wir, wie die Eingangstür auf- und wieder zuging; gleich darauf kam Whitney um die Ecke. Sie trug Yogapants, ein T-Shirt sowie Turnschuhe und hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In der einen Hand hielt sie eine Tüte vom Gartencenter, in der anderen den Schlüsselbund unserer Mutter.
»Sieh an«, sagte mein Vater und trat auf meine Mutter zu. »Das Rätsel ist gelöst.« Rasch nahm er ihre Handtasche und schob alles, was auf der Arbeitsplatte lag, wieder hinein. »Lass uns aufbrechen, bevor noch weitere Dinge auf mysteriöse Weise verschwinden.«
Und damit waren sie weg. Vom Küchentisch aus konnte ich sehen, wie mein Vater rückwärts die Einfahrt hinunterfuhr. Als ich einen letzten, flüchtigen Blick auf meine Mutter erhaschte, wandte sie gerade den Kopf und schaute zum Haus zurück, während das Auto davondüste.
Jetzt erst schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf. Blickte zu Whitney hinüber, die stirnrunzelnd den Inhalt ihrer Gartencenter-Tüte sichtete und damit – was auch immer »damit« war – herumfuhrwerkte. »Na dann«, meinte ich, »ab jetzt heißt es wohl: nur wir zwei, was?«
»Bitte?« Sie blickte nicht einmal hoch.
Das Haus um mich herum fühlte sich leer an. Ruhig. Es würde ein langes Wochenende werden. »Nichts. Vergiss es.«
Glücklicherweise hatte ich noch andere Dinge zu tun, außer mich von meiner Schwester ignorieren zu lassen. Na ja, zumindest noch ein Ding.
Die Herbstmodenschau in der
Lakeview Mall
sollte am kommenden Wochenende stattfinden; deshalb musste ich an jenem Samstagnachmittag zu einem Termin, bei dem der Zeitplan für die Proben festgelegt werden sollte. Als ich im
Kaufhaus Kopf
ankam, geriet ich mitten in den üblichen hektischen Samstagstrubel, der in dem Auftritt einer Popsängerin namens Jenny Reef gipfelte, die
Mooshka Surfwear
promotete. (Ausgerechnet.) Die Teenie-Abteilung wimmelte von kaufwütigen Mädels; die Schlange reichte von den Kassen durch mehrere Gänge bis hin zu DESSOUS. Aus einem überdimensionalen Ghettoblaster dröhnte in Endlosschleife ein munterer Bubblegum-Popsong.
»Annabel!«
Als ich mich umdrehte, entdeckte ich Mallory Armstrong. Sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd und düste in einem erstaunlichen Tempo auf mich zu; erstaunlich vor allem deshalb, weil sie ein gigantisches Poster, CDs sowie eine Kamera trug, was sie beim Fortkommen in dem Gedränge eigentlich hätte behindern müssen. Tat es aber nicht. Etwas langsamer dahinter folgte ihre Mutter. Dass sie Mallorys Mutter sein musste, wusste ich, weil ich sie ja gesehen hatte, als ich Owen zu Hause absetzte.
»Hi«, jubelte Mallory. »Ich fasse es nicht. Bist du auch Jenny Reef-Fan?«
»Nun ja«, setzte ich an. Genau in dem Augenblick schob sich ein weiterer Pulk Mädchen an uns vorbei und stellte sich am Ende der Schlange an. »Ehrlich gesagt, ich bin nicht ihretwegen hier, sondern weil ich einen Termin –«
Mallory fiel mir ins Wort: »Mit deiner Agentur? Den
Lakeview Models
?«
»Ja, stimmt. Nächstes Wochenende findet hier eine Modenschau statt.«
»Die Herbstmodenschau. Weiß ich! Ich bin schon sooo gespannt! Ich werde kommen, aber so was von. Übrigens kann ich es immer noch nicht fassen, dass Jenny Reef heute hier ist. Du? Sie hat ein Poster für mich signiert.«
Sie rollte es auf, damit ich es anschauen konnte. Und tada – da war sie: Jenny Reef! In Surferpose am Strand, der perfekte Kalifornien-Look. Auf ihrer einen Seite steckte, halb im Sand, eine Gitarre, auf der anderen ein Surfboard. Darunter stand mit schwarzem Textmarker geschrieben: FÜR MALLORY. VIEL SPASS BEIM ABHÄNGEN & DURCHSTARTEN MIT MIR UND MOOSHKA SURF-WEAR. ALLES LIEBE, JENNY.
»Echt cool«, meinte ich. Mallorys Mutter gesellte sich zu uns.
»Außerdem habe ich eine CD geschenkt bekommen. Und ein Foto.« Mallory wippte auf ihren Fußballen auf und ab, hüpfte fast vor Begeisterung. »Ich hätte gerne auch noch ein
Mooshka -Shirt
gehabt, aber –«
»Aber du hast schon mindestens tausend T-Shirts .« Ihre Mutter beendete den Satz für sie. Sie war groß, größer als ich. (Kein Wunder, dass Owen so ein Riese war.) Ihre schwarzen Haare hatte sie im Nacken zusammengebunden, sie trug Jeans und einen Strickpulli. Unwillkürlich schielte ich auf ihre Schuhe hinunter. Sie waren alles andere als spitz und mir schoss die Frage durch den Kopf, ob so wohl veganische
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