Just Listen - Roman
essen und einfach Zeit miteinander verbringen. Endlich mal wieder nur sie beide.
Ich fand die Idee spitze, aber meine Mutter zögerte. Sie wusste nicht, ob sie Whitney und mich wirklich allein lassen wollte, konnte, durfte. Besonders weil Whitney seit der vorangegangenen Woche, in der sie in einer neuen Therapiegruppe angefangen hatte, noch mieser drauf war als sonst. In dieser Gruppe, die – wie Whitney es so charmant ausdrückte – von einem Freak geleitet wurde, war sie nämlich gegen ihren erklärten Willen gelandet.
Als das Thema eines Abends nach dem Essen auf den Tisch kam, redete meine Mutter beschwörend auf sie ein: »Bitte, Whitney, Dr. Hammond ist überzeugt davon, dass die neue Gruppe dir wirklich weiterhelfen kann.«
»Dr. Hammond ist ein Idiot«, erwiderte Whitney. Mein Vater warf ihr einen mahnenden Blick zu, aber falls sie den überhaupt wahrgenommen hatte, ignorierte sie ihn jedenfalls. »Ich kenne Leute, die bei der Tusse schon in Gruppentherapie waren, Mama. Sie ist eine Irre.«
»Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, entgegnete mein Vater.
»Glaub’s oder lass es bleiben, es ist so. Sie ist noch nicht einmal eine richtige Psychiaterin. Viele Ärzte in meinem Programm sind der Meinung, sie sei völlig drüber. Ihre Methoden sind mehr als unorthodox.«
»In welchem Sinne unorthodox?«, fragte er.
Meine Mutter antwortete: »Dr. Hammond meint« – schon bei dem Namen verdrehte Whitney demonstrativ die Augen – »diese Moira Bell habe gerade wegen ihres ungewöhnlichen Ansatzes bei vielen seiner Patienten so großen Erfolg.«
»Ich verstehe trotzdem noch nicht, was an ihr so anders sein soll«, sagte mein Vater.
»Sie bietet offenbar viele praktische Übungen an«, erklärtemeine Mutter. »Man sitzt bei ihr nicht nur im Kreis und redet.«
»Ihr wollt ein Beispiel hören?« Whitney legte ihre Gabel auf den Tisch. »Erinnert ihr euch an Janet? Wir waren zur selben Zeit in der Klinik. Als sie in Moira Bells Gruppe war, musste sie lernen, wie man Feuer macht.«
Meine Mutter sah sie irritiert an. »Feuer?«
»Ja. Moira drückte ihr zwei Äste in die Hand und Janets Aufgabe bestand darin, sie so lange aneinanderzureiben, bis Funken entstanden und sie Feuer machen konnte. Und das musste sie dann üben, bis es jedes Mal auf Anhieb klappte.«
»Und was genau war der Sinn des Ganzen?«, wollte mein Vater wissen.
Whitney zuckte mit den Achseln und nahm ihre Gabel wieder in die Hand. »Janet meinte, es habe wohl etwas mit Eigenverantwortung und Unabhängigkeit zu tun. Jedenfalls hat sie gesagt, Moira Bell sei total gaga.«
»Das klingt wirklich schon etwas anders.« Meine Mutter wirkte plötzlich sehr besorgt. Als ob sie sich gerade vorstellte, wie Whitney unser Haus niederbrannte.
»Ich will damit bloß sagen, dass die Gruppe totale Zeitverschwendung ist«, verkündete Whitney.
»Versuch es, wenigstens ein Mal«, sagte mein Vater. »Danach kannst du dich immer noch anders entscheiden.«
Doch so, wie Whitney sich den Rest des Abends über aufführte, hatte sie ihre Entscheidung bereits getroffen, was daran zu erkennen war, dass sie bei ihren üblichen Mätzchen – Türen knallen, rumschmollen, rumjammern – glatt noch einen Zahn zulegte. Nachdem sie am folgenden Tag wie vorgesehen an besagter Gruppensitzung teilgenommen hatte, kam sie mit einer so schauderlichen Launeheim wie selten. Trotzdem ging sie wieder hin, sogar zweimal. Gleichzeitig war meine Mutter nach wie vor ultranervös; dabei hatte Whitney unser Haus noch gar nicht abgebrannt. Ein wenig nervös war ich irgendwie auch, ehrlich gesagt. Wer blieb denn an diesem Wochenende zurück, war auf Gedeih und Verderb mit Whitney zusammengesperrt?
Mein Vater hingegen fand, es sei an der Zeit, Whitney mehr zuzutrauen, sie in die Eigenverantwortung zu nehmen. Sie werde nie wieder selbstständig, wenn meine Mutter weiter so um sie herumglucke. Außerdem seien sie gerade einmal knapp drei Tage weg. Er rief sogar Dr. Hammond an, der auch sein Okay gab; seiner Meinung nach sprach nichts dagegen. Dennoch ließen sich die Unsicherheit und Nervosität meiner Mutter durch nichts entkräften. Deshalb spielte sie weiter auf Zeit, durchsuchte in diesem Augenblick schon wieder den Inhalt ihrer Tasche. Und mein Vater blickte schon wieder auf die Uhr.
»Ich verstehe das nicht«, sagte meine Mutter und machte die Tasche so weit auf, wie es irgend ging. »Gestern Abend hatte ich meine Schlüssel noch. Ich
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