Justice (German Edition)
Hüften und ging in die offene Küche. »Ach komm, Milan! Das ist alberner Quatsch. Die Apartheid ist längst vorbei! Wir haben jetzt ganz andere Probleme. Was soll das jetzt?«
Milan ging ihr hinterher. »Ich will es wissen!«, rief er verzweifelt. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem Millionen von Menschen verachtet und unterdrückt werden.«
Sabine blieb schlagartig mitten in der Küche stehen, als fiele ihr eine geniale Erklärung ein. »Ich kann es dir sagen«, sagte sie trotzig. »Es war nicht schön.«
Sie holte eine Packung Kaffeebohnen aus dem Schrank und füllte sie in den Kaffeeautomaten, als hätte sie Milans Fragen mit einem Schlag beantwortet. Es war nicht schön . So einfach war das.
»Wenn es nicht schön war, warum habt ihr dann während der Apartheid hier gelebt?«, hakte Milan geduldig nach.
Sabine schnaubte verärgert. »Was hätten wir sonst tun sollen?«
»Papa hätte auch nach Deutschland kommen können.«
Sabine Julitz drehte sich schwungvoll zu ihrem Sohn um, die Tüte Kaffeebohnen noch in der Hand. Jetzt wurde sie wütend.
»Was willst du eigentlich? Würdest du lieber in Deutschland leben? Ist es das, was du damit sagen willst? Glaubst du, dass wir so in Deutschland leben könnten?
Mensch! Dein Vater wurde hier geboren. Er hat ein Recht darauf, hier zu sein.«
Auf einmal spürte Milan eine Aggression gegenüber seiner Mutter, die ihn selbst überraschte. Sie wollte nicht mit ihm darüber reden, auch wenn sie vorher das Gegenteil behauptet hatte. Sie blockte einfach ab. Fragen über die Vergangenheit waren offenbar nicht erwünscht.
Milan war jetzt auf Konfrontationskurs. »War Papa in der Nationalen Partei?«, fragte er.
»Natürlich nicht!«, protestierte Sabine entsetzt und verschüttete dabei versehentlich einige Kaffeebohnen. »Dein Vater war einer der Guten. Dein Großvater auch. Du siehst doch selbst, wie sich Opa um seine Leute kümmert. Hast du das vergessen? Er hat Walter und Jon praktisch seine Farm vererbt.«
»Und du? Hat dich die Rassenpolitik damals nicht gestört?«
»Doch, selbstverständlich! Aber was hätte ich denn tun sollen? Ich bin nur ein kleiner Mensch, ein Nichts. Außerdem weißt du ganz genau: Dein Vater wäre nie nach Deutschland gegangen.«
»Hattest du kein schlechtes Gewissen? Ich meine, so zu leben, während die anderen ...«
Sabine ließ Milan den Satz nicht zu Ende bringen. »Weshalb denn? Es war nicht meine Idee!«, rief sie angespannt und ihre Stimme quiekte vor Aufregung.
»Du hättest trotzdem etwas fühlen können. Irgendwas. Ich meine, du wusstest, was in diesem Land abging, oder nicht?«
Milans Mutter schüttelte ablehnend den Kopf. »Nee, nee!«, lachte sie, als wäre sie endlich hinter Milans Spiel gekommen. »Du kannst mich nicht dafür verantwortlich machen! Nein. Als ich zum ersten Mal nach Südafrika kam, war ich so alt wie du. Beim zweiten Mal war ich erst zwanzig. Dann habe ich deinen Vater kennengelernt. Ich habe alles für ihn aufgegeben.«
Sabine hielt den Deckel der Kaffeemaschine fest und machte sie an. Das ratternde Geräusch übertönte das Gespräch.
Milan wartete eine Sekunde, aber seine Mutter hörte nicht auf, die Kaffeebohnen zu mahlen. Schließlich gab er nach. »Ich gehe nach oben.«
Sabine registrierte diese Mitteilung, als hätte es das Gespräch gar nicht gegeben. »In Ordnung«, sagte sie, und Milan vernahm eine gewisse Erleichterung in ihrer Stimme.
Er musterte seine Mutter noch einen Augenblick lang. Wieder gut gelaunt holte sie eine Tasse aus dem Schrank und sagte nichts mehr. Er wandte sich von ihr ab und ging langsam zur Tür.
»Opa kommt am Sonntag übrigens nicht«, teilte Sabine ihm mit, bevor er die Küche verließ. »Er ist noch erkältet. Ich soll dich schön grüßen.«
Milan antwortete nicht. Mit schweren Schritten ging er die Treppe hoch und verschwand in seinem Zimmer.
Die Auszeichnung
Für Milan vergingen die nächsten zwei Wochen wie im Flug. Fast jeden Tag holte er Zeni nach der Schule ab. Zusammen fuhren sie in die Stadt, gingen an der Promenade spazieren oder an einem der vielen Strände rund um Kapstadt. Sie genossen die bezaubernde Aussicht vom Signal Hill, besuchten das Niemandsland im ehemaligen District Six, machten einen Schaufensterbummel im Zentrum und tranken Kaffee in der Long Street. Milan nahm Zeni sogar zum Drachenboottraining mit. Dort sah sie nicht nur das Boot, sondern lernte auch Milans Teamkollegen kennen. Selbst Herr
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