Justice (German Edition)
sein.«
Dann kam ihm Zeni zuvor. Sie streckte den Kopf zu ihm hoch und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
»Komm gut nach Hause«, sagte sie lächelnd. Dann drehte sie sich um, lief zur Haustür und verschwand in der Hütte. Am Fenster ließ der Beobachter den Vorhang fallen.
Nach dem Ausflug mit Zeni parkte Milan in der Garage und schloss das elektrische Tor hinter sich. Für seine Vespa gab es nur wenig Platz neben dem Geländewagen seiner Eltern. Er betrat das Haus durch die Seitentür und hörte seine Mutter im Wohnzimmer. Sie saß auf dem Sofa und telefonierte. Gleichzeitig sah sie fern, allerdings ohne Ton.
Milans Mutter war eine attraktive und erfolgreiche Geschäftsfrau von zierlicher Statur. Sie hatte blond gefärbte Haare, eine moderne Frisur und auffällig blasse Haut. Sie leitete eine eigene Firma namens Rent-a-Plant . Diese vermietete Pflanzen an Büros und Geschäfte in Kapstadt und Umgebung – »grüne Schmuckstücke«, wie sie sie nannte – und organisierte ihre Pflege als Teil der Dienstleistung. In der Innenstadt hatte sie eine kleine Lagerhalle, in der die Pflanzen aufbewahrt wurden. Ihre Mitarbeiter führten von dort aus die Lieferungen durch. Vor mehr als zehn Jahren hatte Sabine die Firma aus dem Nichts aufgebaut. Es lief so gut, dass sie mittlerweile drei Festangestellte hatte.
Als Sabine Julitz ihren Sohn sah, beendete sie das Telefonat abrupt und stand auf. »Hallo, Schatz!«, sagte sie und kam auf ihn zu. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Gerade habe ich Herrn Stein angerufen. Er hat mir gesagt, du seiest unterwegs mit Freunden.«
Milan ließ sich auf das Sofa fallen und schaute der tonlosen Telenovela im Fernsehen zu. »Du musst dir keine Sorgen um mich machen.«
Sabine Julitz nahm die Redefaulheit ihres Sohnes mit einem Seufzer hin. Sein Schweigen machte sie nur noch neugieriger.
»Ach Schatz, was hast du denn?«, schnurrte sie und strich ihrem Sohn durch die Haare. Milan zog sofort seinen Kopf weg.
Sabine inspizierte ihre rot lackierten Fingernägel. »Erzähl mal, wo warst du?«
»Am Strand«, antwortete Milan wortkarg.
»Mit Alex?«, hakte sie nach.
Statt seine Mutter mit weiteren Details über seine Freizeitaktivitäten zu versorgen, nahm Milan die Fernbedienung und schaltete den Ton ein. Eigentlich hätte er gerne mit jemandem geredet. Über Zeni, über ihre tragische Familiengeschichte, über das Gespräch am Strand. Er hätte gerne jemandem ihre wundervollen Augen und ihr strahlendes Lächeln beschrieben, von ihrer klaren und einfühlsamen Art erzählt und dem besonderen Gefühl, sie in den Armen zu halten. Aber nicht seiner Mutter.
Sabine schaute ihren Sohn von hinten an. Seine langen braunen Haare besaßen eine feine Struktur und waren seidenweich. Sie legte wieder ihre Hand auf seinen Schopf und streichelte ihn sanft.
»Was ist los, Schatz?«, fragte sie besorgt. »Hast du Probleme in der Schule?«
Milan sprang energisch vom Sofa auf. Die Naivität ihrer Frage nervte ihn. »Verdammt noch mal, Mama! Ich bin kein Kind mehr!«, fauchte er sie an.
Sabine war überrascht. »Mein Gott! Du bist aber heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, was?« Sie glättete den Rock ihres Kostüms. »Was ist denn nur in dich gefahren?«
»Es tut mir leid. Ich bin nur in Gedanken.«
»Worüber denkst du denn nach?«
Milan zuckte mit den Achseln und schüttelte dabei den Kopf. »Über vieles.«
»Wenn du willst, kannst du mit mir darüber reden. Du kannst mit mir über alles reden.«
Milan verzog das Gesicht und kämpfte mit sich. Dann stellte er die Frage, die ihn beschäftigte, seit Zeni ihm von ihrer Familie erzählt hatte: »Was habt ihr eigentlich während der Apartheid gemacht?«
Sabine zuckte fast unmerklich zusammen. Sie spitzte die Lippen und drehte sich von ihrem Sohn weg.
»Wie meinst du das?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage.
»Na ja. Ich meine, wie ihr damals dazu gestanden seid? Wir haben noch nie darüber gesprochen.«
Sabine zuckte mit den Schultern. »Es gibt nichts dazu zu sagen«, sagte sie genervt und zupfte ihre Jacke zurecht. »Ich hatte mit der Politik dieses Landes nichts zu tun. Dein Vater auch nicht.«
»Aber du bist hierhergezogen«, erwiderte Milan und fügte mit Nachdruck hinzu: »Freiwillig.«
Sabine drehte sich wieder zu ihm um und schaute ihren Sohn mit einem bemitleidenswerten Lächeln an. »Aber Milan! Es ist doch so wunderbar hier!«
»Ja«, gab Milan zurück, »wenn man damals weiß war.«
Sabine stemmte die Hände in die
Weitere Kostenlose Bücher