Justice (German Edition)
abzuwarten, bis die Tsotsis weg waren. Kaum hatte er diese Entscheidung getroffen, stolperte ein betrunkener Mann vor sie hin. Es war ein älterer Herr mit grauen Haaren und einem verbitterten Gesicht. Er war so stark alkoholisiert, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Schwankend nahm er einen Stuhl, drehte ihn um und ließ sich darauf nieder, direkt gegenüber von Milan.
»He, du da!«, schnauzte der Betrunkene ihn an. Sogar aus der Entfernung konnte Milan den Schnaps in seinem Atem riechen. » uMlungu , du gefällst mir nicht!«
Diesmal hörte sich das Wort uMlungu nicht mehr spielerisch an. Der Mann hatte es buchstäblich ausgespuckt. Er war im gleichen Alter wie Themba Mbetes würdevoll aussehender Vater. Sein langes Gesicht war von tiefen Falten gezeichnet. Unter seinen schweren Augenlidern waren seine Augäpfel rot und wässerig. Er sabberte und rülpste und sah aus, als ob er gleich vom Stuhl kippen würde.
Milan stand auf und wandte sich an Zeni. »Kommst du mit? Ich will mich von Themba verabschieden.«
Doch der Mann packte ihn am Arm und zog ihn schroff herunter. »Du gehst nach Hause, bhuti? «, lallte er. »Zurück zu deinem großen Haus in der Stadt?«
Milan erstarrte. Der Mann suchte Ärger. »Komm, lass uns gehen«, wiederholte er, doch der Mann ließ ihn nicht los.
»Typen wie dich wollen wir hier nicht!«, schnauzte er ihn weiter an. »Vampire seid ihr! Ihr saugt uns das Blut aus den Adern. Ihr seid Dreck!«
Zeni sagte dem Mann etwas besänftigend auf Xhosa, aber der Besoffene hatte es auch auf sie abgesehen.
»Halt’s Maul, du Scheißkokosnuss!«, fauchte er.
Zeni erstarrte sprachlos. Außen schwarz, innen weiß. Wie eine Kokosnuss. So lautete die Beleidigung der Schwarzen, die sich »wie Weiße« benahmen.
Eine erschreckende Wut stieg schlagartig in Milan hoch. Er befreite sich aus dem Griff des betrunkenen Mannes und stand energisch auf. Er war so voller Zorn, er hätte den Mann schlagen können. Milan suchte nach Worten, um die Beleidigung zurückzuweisen, doch bevor er sie fand, kam Themba Mbete dazwischen.
»Robert, tatamkhulu , du bist betrunken«, sagte der Bräutigam leise, aber bestimmt. Seine versöhnliche Stimme beruhigte Milan sofort. »Du solltest nach Hause gehen.«
Robert war offensichtlich ganz anderer Meinung. Er schaute an Themba vorbei und zeigte anschuldigend auf Milan. »Dieser beschissene Bure hat angefangen. Was macht er überhaupt hier? Und was ist mit dieser verdammten Kokosnuss!«
Er zeigte auf Zeni. Themba fuhr erschrocken zusammen. Er packte Robert am Handgelenk und zog seinen Arm mit Gewalt auf den Rücken.
»Was hast du gerade gesagt?«, zischte er wütend. Er zog den Arm immer weiter hoch, bis sein Gegner vor Schmerzen schrie.
»Au! Das tut weh!«
Themba ließ den Mann los. »Du gehst jetzt«, knurrte er. »Und morgen, wenn du nüchtern bist, wirst du dich bei meiner Cousine und bei ihrem Freund für deine Unverschämtheit entschuldigen. Sonst hörst du nie wieder von mir.«
Themba schubste den alten Mann respektlos Richtung Ausgang. Robert machte den Mund auf, um etwas zu sagen, entschied sich aber dagegen. Zum Glück. Sonst hätte Themba sicherlich seinen Arm gebrochen.
Der Betrunkene fluchte leise vor sich hin, schwankte zur Tür und stolperte in die Nacht hinaus.
Themba wandte sich seiner Cousine zu. »Es tut mir leid. Ich hätte ihn nicht einladen sollen«, seufzte er voller Bedauern. »Ich wollte ihm noch eine Chance geben. Jetzt hat er sie aber verspielt.«
Zeni stand schweigend da und schaute betroffen auf den Boden. »Ich gehe jetzt nach Hause«, kündigte sie leise an, ohne ihrem Cousin in die Augen zu schauen.
Milan nahm ihre Hand. »Ich komme mit. Vielen Dank, Themba. Es war eine sehr schöne Hochzeit. Wirklich. Es tut mir leid, dass es jetzt ...« Er brach seinen Satz ab. Schließlich konnte er nichts dafür. »Grüß bitte deine Frau von mir«, er gab Themba die Hand. »Also, bis bald. Und danke.«
Auf dem Weg nach Hause fuhr Milan am Sea Point vorbei. Seine Eltern waren zu einer Feier eingeladen und es war unwahrscheinlich, dass sie schon zu Hause sein würden.
Es war erst zehn Uhr. Nach dem aufregenden Abend in Khayelitsha hatte Milan keine Lust, alleine zu sein. Außerdem wollte er seinen Großvater sehen.
Am Eingang des hohen Wohnblocks am Sea Point klingelte Milan bei »Julitz«, aber niemand öffnete. Milan war überrascht, denn sein Großvater ging gewöhnlich nicht früh zu Bett. Immer noch in seinem
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