Justice (German Edition)
Nachrichtenmagazin Die Spieël . Auch bei der Suche nach Hinweisen in den Ausgaben der letzten Jahre wurde die Polizei nicht fündig. Sie suchten nach verärgerten Personen, die sich von einem der bissigen Berichte aus der Zeitschrift ungerecht behandelt fühlten, oder nach Mitarbeitern, die in der letzten Zeit entlassen worden waren. Aber sie fanden nichts. Auch nach genauer Recherche in ihrer Vergangenheit entdeckte die Polizei nicht die geringste Andeutung, warum Catherine de Koning Opfer des Apartheid-Killers geworden war.
Auf der Liste, die der Killer bei ihrem Leichnam hinterlassen hatte, standen die Namen von fünf toten Kindern. Sie waren nicht südafrikanischer Abstammung, sondern kamen aus dem Nachbarstaat Mosambik. Grenzüberschreitende Angriffe waren gang und gäbe während der letzten, turbulenten Jahre des Apartheid-Regimes. Ziel waren meistens die Anti-Apartheid-Kämpfer, die sich im Ausland aufhielten, aber die geheimen Streitkräfte der Regierungen waren nicht allzu wählerisch. Wenn es Kollateralschäden gab, war es bedauerlich, aber keinesfalls ein Argument, um die verdeckten Missionen abzublasen. Der Befehl für die besagte Operation in Mosambik kam direkt vom damaligen Regierungschef. Ausgeführt wurde er von einer geheimen Sondereinsatztruppe, die die Schmutzarbeit der Regierung regelmäßig erledigte. Die fünf Kinder, die in der Nacht des Einsatzes starben, schliefen in ihren Betten, während die Sondereinheit zugriff. Es war vermutlich ein schmerzfreier Tod. Sie sind nur kurz aufgrund des Lärms wach geworden. Dann war es, als hätten sie einfach weitergeschlafen.
Was die Geheimoperation in Mosambik mit der Chefredakteurin zu tun hatte, war ein völliges Rätsel. Sogar ihr Ex-Mann hatte gegen die Apartheid gekämpft. Ein damals hochkarätiger Geschäftsmann, er hatte die Finanzierung der Widerstandsbewegung innerhalb Südafrikas organisiert. Es gab scheinbar nichts, was die tote Frau mit den fünf ermordeten Kindern in Mosambik verband.
Doch für Milan war die Erinnerung an Catherine de Konings Nachbarn das prägendste Erlebnis gewesen. Der alte Mann, der so bitterlich geweint hatte, wirkte wie ein Vater, der über den vorzeitigen Tod seiner eigenen Tochter trauerte. Der Nachbar tauchte auch in den Nachrichten auf. Kurz nach Milans überstürzter Flucht war offenbar ein Fernsehteam am Tatort eingetroffen. Außer der üblichen Befragung der ermittelnden Polizeibeamten zeigte der Beitrag kurze Interviews mit den Anwohnern des Kerkwegs. Sie beschrieben die Tote als vorbildliche Bürgerin, als beliebte Nachbarin. Sie äußerten ihre Wut über den barbarischen Tod und verlangten nach Aufklärung. Auch die Dame mit der blond gefärbten Dauerwelle trat vor die Kamera. Sie erwähnte das verdächtige Verhalten eines Schaulustigen, eines jungen Mannes, der sich fluchtartig auf seinem Roller aus dem Staub gemacht hatte.
»Er war noch keine Zwanzig«, erzählte sie dem Berichterstatter empört. »Ich habe ihn angesprochen, aber er hat sich verdrückt. Ist einfach abgehauen. Er hat sich als Enkelsohn von Frau de Konings Nachbar ausgegeben. Äußerst suspekt, wenn Sie mich fragen.«
Der Polizeibeamte unterstrich ebenfalls diese fragwürdige Verhaltensweise und forderte den jungen Mann auf, sich bei der Polizei zu melden. Ein Phantombild wurde eingeblendet. Die Ähnlichkeit zu Milan war dürftig: Die Nase und die Augen stimmten überhaupt nicht, die Stirn war zu breit, nur die Haare waren gut getroffen. Aber das reichte nicht. Nicht mal seine Eltern wären auf die Idee gekommen, dass die gesuchte Person Milan sein könnte.
Trotzdem wollte Milan kein Risiko eingehen. Wenn er ein besonderes Merkmal hatte, waren es seine langen braunen Locken. Sie könnten ihn jetzt in Schwierigkeiten bringen. Ohne zu zögern, ging er ins Badezimmer und nahm den Langhaarschneider seines Vaters in die Hand. Er wechselte das Einstellrad und legte das Gerät an die Stirn. Dann schaltete er es an und strich die Klingen über seinen Haaransatz. Die ersten Strähnen fielen sofort und Milan schob den Schneider langsam weiter, bis seine ganzen Haare nur noch wenige Millimeter lang waren.
Als er fertig war, betrachtete er sich im Spiegel. Er sah völlig verändert aus. Mit der Hand strich er sich über den Kopf. Die kurzen, stoppeligen Haare kitzelten seine glatte Handfläche. Es war ein seltsames Gefühl, wie die Borsten einer Bürste. Erst dann fiel ihm auf, dass er nun die gleiche Frisur hatte wie Herr Stein.
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