Justice (German Edition)
gleich. Kann ich dich später zurückrufen?«
»Ja gerne. Ich bin zu Hause.«
»Tschüss, Zeni. Und sorry. Ich meine, dass ich so kurz angebunden bin.«
Mit einem unguten Gefühl beendete Milan das Gespräch. Er wollte seine Freundin nicht anlügen, aber es ging nicht anders. Er würde ihr alles erklären – später, wenn er mehr wusste. Aber nicht jetzt.
Milan holte sich ein Getränk vom Kiosk und setzte sich auf den Bordstein. Er wartete. Eine Stunde später machte das Staatsarchiv zu. Stein war der letzte Besucher, der das Gebäude verließ. Die beiden Sicherheitsbeamten begleiteten ihn zur Tür und verabschiedeten ihn in vertrauter Weise. Das Ritual erinnerte Milan an den Wächter vor der deutschen Schule. Sie kannten sich offenbar gut.
Während Stein die Straße überquerte, zog sich Milan zu seinem Roller zurück. Dabei behielt er den Eingang des Parkhauses im Auge. Doch bevor Herr Stein sein Auto abholte, ging er zu einer der hellgrünen Telefonzellen an der Straßenecke. Er hob den Hörer ab, steckte seine Karte hinein und wählte. Während er sprach, drehte er sich mit dem Rücken zum Telefon und ließ seinen Blick über die Straße schweifen. Milan wunderte sich. Herr Stein hatte ein Handy, das wusste Milan. Er ließ es nämlich immer im Bootshaus zurück, wenn sie aufs Wasser gingen. Warum nutzte er es jetzt nicht?
Das Telefongespräch dauerte nicht lange. Nachdem er aufgelegt hatte, ging Stein ins Parkhaus und tauchte kurz darauf mit seinem roten VW wieder auf. Er fuhr aus der Ausfahrt und bog nach rechts in die Straße ein. Er hatte offenbar nicht vor, nach Hause zu fahren.
Milan folgte Stein erneut. Der Geschichtslehrer nahm Kurs auf das Meer, bog aber kurz davor nach Bo-Kaap ab. Das kleine Viertel am Fuß des Signal Hills war eine von Milans Lieblingsgegenden in der Stadt. Bo-Kaap zeichnete sich durch seine vielen bunt bemalten Reihenhäuser aus, die sich am steilen Abhang des Hügels entlangschlängelten. Die knallrot, grün und blau gestrichenen Fassaden waren eine wahre Augenweide, deren Charme gerade ihr heruntergekommener Zustand ausmachte.
Stein fuhr die holprigen Kopfsteinpflasterstraßen hoch, an den weißen Moscheen und den pittoresken Häusern vorbei, bis er eine moderne Siedlung mit Sozialwohnungen am obersten Rand des Bezirks erreichte. Hier stellte er sein Auto im Hinterhof ab und ging zu einer Autowerkstatt. Milan beobachtete das Geschehen von einer Erhebung hinter der Garage aus. Draußen, vor der offenen Garagentür, lag ein Mechaniker unter der Karosserie eines Kleinlasters. Stein blieb stehen und sprach den Mann an. Prompt kroch der Monteur unter dem Laster hervor und stand auf. Es war ein kleiner älterer Mann, der eine Gebetsmütze auf dem Kopf trug und dessen Kleidung mit Öl und Dreck verschmiert war. Er wischte seine Hände an einem Lappen ab, begrüßte Stein mit Handschlag und verschwand durch die offene Tür in die Werkstatt.
Als er kurz darauf wieder ans Tageslicht kam, hielt der Mann einen kleinen unbeschrifteten Karton in der Hand. Aus der Entfernung konnte Milan den Inhalt nicht erkennen. Herr Stein zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche, nahm ein paar Scheine raus und drückte sie dem Mann in die Hand. Mit einem breiten Grinsen überreichte der Mechaniker Stein den Karton. Nachdem sich die beiden Männer wieder die Hand gegeben hatten, ging Stein zu seinem Auto zurück.
Milan sah zu, wie Stein langsam den Hügel hinabfuhr und auf der Hauptstraße das Viertel wieder verließ. Er schaute auf die Uhr. Es war schon sieben. Die letzten drei Stunden hatte er mit seiner Beschattung verbracht. Jetzt war es Zeit, nach Hause zu fahren, egal wo Herr Stein hinfuhr. Milan musste noch einen Aufsatz für die Schule schreiben. Und er wollte auch Zeni anrufen. Nicht dass sie sein seltsames Verhalten falsch interpretierte. Vielleicht sollte er die ganze Sache mit Herrn Stein aber auch einfach lassen. Vielleicht war er mit seinem Verdacht zu weit gegangen? Vielleicht war alles doch nur ein Zufall? Milan trat den Heimweg an. Morgen würde er weitersehen.
Laut Polizeiberichten passte der Mord an der Zeitschriftenredakteurin Catherine de Koning nicht in das Muster des Apartheid-Killers. Die Frau hatte keine politische Vergangenheit. Die Namen auf der Liste, die neben ihrer Leiche gefunden wurde, konnten nicht in Verbindung mit dem Opfer gebracht werden. Catherine de Koning war geschieden und lebte seit zwanzig Jahren allein in Constantia. Sie widmete sich voll und ganz dem
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