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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Fermer
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ihn hier raus.«
     
    Es war schon längst dunkel geworden, als Milan Herrn Steins alten VW in der Einfahrt vor dem Haus parkte. Die Nacht kam ihm ganz recht. Er durfte keinesfalls gesehen werden, wie er den halb toten Mann auf dem Rücksitz aus dem Auto hievte und ihn den Gehweg entlang zur Haustür schleppte. Stein befand sich in einem Zustand irgendwo zwischen Wachsein und Bewusstlosigkeit. Er konnte die Augen nicht offen halten, jedoch schlief er auch nicht. Gesprochen hatte er schon eine ganze Weile nicht mehr. Bei jedem Schritt stöhnte er vor Schmerzen und klammerte sich an Milan fest. An der Haustür dauerte es eine Weile, bis Milan den passenden Schlüssel gefunden hatte, Stein lehnte sich erschöpft gegen die Mauer, unfähig, seinem Schüler dabei zu helfen. Schließlich gelang es Milan, die Haustür zu öffnen, und die beiden stolperten in Steins bescheidenes Haus hinein.
    Wie Milan bereits von draußen wahrgenommen hatte, führte die Haustür unmittelbar ins Wohnzimmer. Neben dem Eingang stand rechts das Sofa, direkt unter dem breiten Fenster, durch das Milan den Revolver vor einigen Stunden erblickt hatte. Stein schleppte sich dorthin, eine Hand auf Milans Schulter, während die andere verzweifelt nach Halt zwischen Wand und Sofa suchte. Er stöhnte laut auf und ließ sich erschöpft auf die Couch fallen. Er atmete schwer, lehnte den Kopf gegen die Armlehne und machte die Augen zu.
    »Die Tür«, hauchte er mit geschlossenen Augen. »Schließ sie von innen ab.« Dann deutete er mit erhobener Hand auf die Vorhänge. »Und mach die zu.«
    Milan folgte der Anweisung. Er zog die schweren Vorhänge hinter dem Sofa zu, schloss die Tür ab und schaltete das Licht an. Dann nahm er Steins Revolver aus seiner Hose und legte ihn auf den Esstisch. Er schaute sich um. Der Raum bestand aus zwei Teilen: Vorne links war der Wohnbereich mit Sofa und Couchtisch, davor stand ein Esstisch mit einem einzigen Stuhl. Ein alter Plattenspieler nahm den Platz mitten auf dem Couchtisch ein. Bücherregale erstreckten sich vom Boden bis zur Decke über die zwei hinteren Wände. Hunderte von Büchern auf dem wuchtigen Massivholzregal verliehen dem Zimmer ein gemütliches, aber befremdliches Ambiente, das Milan an das Haus seines deutschen Großvaters im Schwarzwald erinnerte. Ein Kamin befand sich in der Ecke, daneben ein Korb voller Holz. Über dem Kamin hing das einzige Bild im Raum: ein Ölgemälde, das einen streng aussehenden Mann zeigte. Sein Anzug deutete das Alter des Bildes an, die kleine runde Brille auf seiner Nase auch. Es stammte aus den 30er- oder 40er-Jahren, vermutete Milan, wahrscheinlich ein Erbstück aus Deutschland. Als Milan sich noch einmal im Raum umsah, fiel ihm auf, dass es keinen Fernsehapparat gab.
    Milan schaute in eine Nische, die mit dem Wohnzimmer durch einen Bogen verbunden war. Darin waren lediglich ein kleiner Schreibtisch und ein Stuhl. An einer Wand stand eine Vitrine, in der teuer aussehendes Geschirr und hochwertige Gläser ausgestellt waren. An der anderen Wand hingen zahlreiche eingerahmte Fotos.
    Neugierig betrachtete Milan die Aufnahmen. Sie zeigten verschiedene Abschnitte aus Herrn Steins Leben: ein altes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem Steins Eltern vor dem Bahnhof in Johannesburg zu sehen waren, vermutlich bei ihrer Ankunft in Südafrika. Bilder aus einer glücklichen Kindheit. Die südafrikanische Idylle der 50er- und 60er-Jahre, in der Herr Stein geboren und aufgewachsen war. Der Geschichtslehrer als junger Mann am Strand von Durban, zusammen mit einem Freund. Sie standen neben ihrem Ruderboot und grinsten in die Kamera. Die ersten Farbbilder zeigten einen Herrn Stein um die dreißig mit einer weißen Frau, vermutlich die Professorin, die er geheiratet hatte. Eine schöne Frau mit langen pechschwarzen Haaren und schneeweißer Haut. Es gab einige Bilder des Ehepaars, aber auf keinem davon wirkten sie besonders glücklich. Ein gewisser gegenseitiger Respekt war deutlich zu erkennen, Freundschaft vielleicht, aber keine Liebe. Auf manchen Bildern standen sie wie Fremde nebeneinander.
    Die einzigen neuen Aufnahmen stammten von der Drachenbootmannschaft. Das Teamfoto, das nach dem letzten Sieg in Port Elizabeth aufgenommen wurde, ein anderes, auf dem Milan neben seinem Trainer vor dem Bootshaus in Kapstadt stand. Stein hatte den Arm um seine Schultern gelegt und beide strahlten um die Wette. Milan war überrascht, sich selbst unter den vertrauten Personen aus Steins Leben zu finden.
    Nur ein Bild

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